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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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aufregenden Begebenheiten in tropischen Ländern zu. Als Fraser in seine Zelle zurückkehrte, war es bereits spät. Er hatte Grey einen unterhaltsamen Abend beschert, aber keinerlei Aufschluß über das Gold gegeben.
     
    2. April 1755
    John Grey öffnete das Paket, das ihm seine Mutter aus London geschickt hatte. Es enthielt Kiele von Schwanenfedern, die feiner, aber trotzdem kräftiger als gewöhnliche Gänsekiele waren. Bei ihrem Anblick mußte er lächeln. Unübersehbar sollten sie ihn daran erinnern, daß er mit seinen Briefen im Rückstand war.
    Trotzdem mußte sich seine Mutter bis zum folgenden Tag gedulden. Er nahm das kleine, mit seinem Monogramm versehene Taschenmesser zur Hand, das er stets bei sich trug, und schnitt sich einen Kiel zurecht. Währenddessen überlegte er, was er schreiben sollte. Als er schließlich die Spitze in das Tintenfaß tauchte, hatten die Worte in seinem Kopf Gestalt angenommen, und er schrieb rasch und flüssig.

     
    2. April 1755
    An Harold, Lord Melton, Earl of Moray
    Mein lieber Hal, schrieb er, ich möchte Dir von einer Begebenheit erzählen, die mich immer noch beschäftigt. Wahrscheinlich ist sie nicht von Bedeutung, sollte an der Sache jedoch tatsächlich etwas dran sein, kommt ihr große Wichtigkeit zu. Ohne weitere Umschweife schilderte er die Begegnung mit dem Wanderer und seinen Halluzinationen. Erst als Grey von Frasers Flucht und seiner erneuten Gefangennahme berichtete, flossen die Worte nicht mehr ganz so rasch.
    Der Umstand, daß Fraser so kurz nach diesen Ereignissen aus dem Gefängnis flüchtete, erweckt in mir den Verdacht, daß die Worte des Landstreichers nicht nur aus der Luft gegriffen waren.
    Falls dem so ist, sind mir Frasers darauffolgende Handlungen vollkommen unerklärlich. Drei Tage nach seiner Flucht wurde er eine Meile von der Küste entfernt wieder aufgegriffen. Ardsmuir liegt in einer weithin unbewohnten Gegend, und es steht nicht zu vermuten, daß er einen Verbündeten getroffen hat. Ich bin mir sicher, daß er weder von seiner Flucht mit jemandem außerhalb des Gefängnisses gesprochen hat noch nach seiner neuerlichen Gefangennahme, denn er steht unter scharfer Bewachung.
     
    Grey hielt inne und sah Frasers windzerzauste Gestalt vor sich, ungestüm wie ein Hirsch, im Moor zu Hause wie das Rotwild. Es wäre für Fraser ein leichtes gewesen - darüber bestand keinerlei Zweifel -, den Dragonern auszuweichen, wenn er gewollt hätte. Aber er hatte sich absichtlich wieder fangen lassen. Weshalb? Grey schrieb weiter.
    Möglicherweise hat Fraser den Schatz nicht gefunden, oder es gibt ihn gar nicht. Ich vermute letzteres, denn wenn Fraser in den Besitz des Goldes gelangt wäre, hätte er sich dann nicht umgehend aus dem Staub gemacht? Er ist kräftig, an das rauhe Leben gewöhnt und sicherlich imstande, zur Küste zu gelangen, um von dort aus übers Meer zu entkommen.
     
    Als Grey vorsichtig auf das Kielende biß, spürte er die bittere Tinte auf der Zunge. Er verzog das Gesicht, stand auf und spuckte aus dem Fenster. Dort blieb er eine Weile stehen. Versonnen wischte
er sich über den Mund und sah hinaus in die kalte Frühlingsnacht.
    Endlich war er auf die Idee gekommen, die Frage zu stellen. Nicht jene, die er ständig wiederholt hatte, sondern eine viel entscheidendere Frage. Nach einer Schachpartie setzte der Kommandant sein Vorhaben in die Tat um. Der Wärter wartete in der Tür, um den Schotten in seine Zelle zurückzubringen. Als der Gefangene aufstand, erhob sich auch Grey.
    »Ich will Sie nicht noch einmal fragen, weshalb sie aus dem Gefängnis geflüchtet sind«, sagte er in leisem Plauderton. »Aber eins möchte ich von Ihnen wissen: Weshalb sind Sie zurückgekommen?«
    Einen Augenblick verharrte Fraser verdutzt auf der Stelle. Er drehte sich um und blickte Grey schweigend in die Augen. Dann verzog er den Mund zu einem Lächeln.
    »Ich glaube, das liegt an Ihrer Gesellschaft, Major. Am Essen jedenfalls nicht.«
     
    Grey schnaubte, als er an diesen Augenblick zurückdachte. Da ihm nichts einfiel, was er dem Schotten entgegnen konnte, gestattete er ihm zu gehen. Anstelle von Fraser löcherte er sich selbst mit Fragen, bis ihm spätnachts eine Antwort einfiel. Was hätte er, Grey, unternommen, wenn Fraser nicht zurückgekommen wäre?
    Er hätte Frasers Familie ins Visier genommen, um zu sehen, ob der Mann dort Unterschlupf oder Hilfe gesucht hatte.
    Das mußte die Antwort sein. Grey hatte an der Unterwerfung des Hochlands nicht

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