Ferne Ufer
saßen sie konzentriert über einer Partie Schach. Ihre Plaudereien hatten sie auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
»Möchten Sie einen Sherry?« Grey tat einen Zug mit dem Läufer, lehnte sich zurück und streckte sich.
Vertieft in die neue Figurenanordnung, nickte Fraser.
»Ja. Danke.«
Grey stand auf und durchquerte den Raum. Fraser blieb beim Kaminfeuer sitzen. Als der Major in dem Schrank nach der Flasche griff, spürte er, wie ihm der Schweiß die Rippen hinabrann. Nicht wegen der Wärme, sondern vor Nervosität.
Die Flasche in der einen, die Kelche - die Waterfordgläser, die ihm seine Mutter geschenkt hatte - in der anderen Hand, kehrte er an den Tisch zurück. Fraser wirkte gedankenverloren. Grey fragte sich, was ihn wohl beschäftigte. Keinesfalls die Schachpartie - ihr Ausgang lag auf der Hand.
Grey nahm den Dameläufer. Der Zug, so wußte er, diente allein dazu, eine Entscheidung hinauszuzögern.
Grey erhob sich, um ein Stück Torf auf das Feuer zu legen. Dabei lehnte er sich und stellte sich wie beiläufig hinter seinen Gegner, um die Aufstellung von dort aus zu betrachten. Als sich der breitschultrige Schotte vorbeugte, um das Brett eingehender zu betrachten, fing sich der Schein des Kaminfeuers in seinem tiefroten Haar.
Es wurde von einem dünnen schwarzen Band zusammengehalten, dessen Enden zu einer Schleife gebunden waren. Ein sanfter Zug, und es würde sich lösen. John Grey ließ in Gedanken seine Hand durch das dicke, glänzende Haar wandern, bis er den warmen Nacken berührte.
»Ihr Zug, Major.« Die leise Stimme des Schotten riß ihn aus seinen Träumen. Er setzte sich wieder hin und richtete die blicklosen Augen auf das Schachbrett.
Obwohl er Fraser nicht ansah, spürte er dessen Gegenwart und Bewegungen. Der Schotte war von einer Aura umgeben, der man sich unmöglich entziehen konnte. Um Fraser unauffällig anschauen zu können, griff Grey nach dem Sherry und nippte, ohne etwas zu schmecken.
Reglos wie eine Zinnfigur saß er da. Nur seine tiefblauen Augen wanderten aufmerksam über das Schachbrett. Das Licht des heruntergebrannten Feuers zeichnete die Konturen seines Körpers nach. Die Hand, in Gold und Schwarz getaucht, ruhte auf dem Tisch.
Als John Grey nach dem Dameläufer griff, fiel ein Lichtstrahl
auf seinen Ring. Ist es falsch, Hector? fragte er. Einen Mann zu lieben, der dich vielleicht getötet hat? Oder ließen sich auf diese Weise endlich die Wunden heilen, die Culloden ihnen beiden geschlagen hatte?
Mit einem dumpfen Klacken setzte Grey den Läufer auf das Brett. Anschließend erhob sich seine Hand wie von einer fremden Macht geführt. Sie wanderte den kurzen Weg durch die Luft, als besäße sie ein klares Ziel und legte sich auf Frasers. Zart tasteten sich die gekrümmten Finger vor.
Die Hand unter der seinen war warm - so warm -, aber hart wie Marmor. Als Grey den Blick hob, sah er in Frasers Augen.
»Nehmen Sie Ihre Finger weg«, sprach Fraser fast unhörbar, »oder ich bringe Sie um.«
Die Hand und das Gesicht des Gefangenen blieben starr, doch der Major spürte die abgrundtiefe Verachtung, den Haß und die Abscheu, die aus dem tiefsten Innern des Mannes hervorbrachen.
Plötzlich, als würde sie ihm gerade ins Ohr geflüstert, hörte er wieder Quarrys Warnung.
Falls Sie mit Fraser allein essen, wenden Sie ihm nicht den Rücken zu!
Doch da bestand keine Gefahr. Es war ihm gar nicht möglich, sich wegzudrehen. Es gelang ihm nicht einmal, den Blick abzuwenden oder zu zwinkern, um den dunkelblauen, durchdringenden Augen zu entkommen, die ihn in ihrem Bann hielten. So langsam wie möglich zog er seine Hand zurück.
Es folgte ein Moment des Schweigens, der nur vom trommelnden Regen und dem Zischen des Torffeuers durchbrochen wurde. Dann erhob sich Fraser geräuschlos und verließ den Raum.
12
Das Opfer
Novemberregen prasselte auf den Gefängnishof und die Gefangenen, die dort angetreten waren und sich verdrossen aneinanderdrängten. Kaum glücklicher als die tropfnassen Gestalten wirkten die Rotröcke, die zu ihrer Bewachung abgestellt waren.
Major Grey stand wartend unter dem Dach. Das Wetter war beileibe nicht ideal für die Durchsuchung und Reinigung der Gefängniszellen, aber in dieser Jahreszeit wartete man vergebens auf günstigere Witterung. Bei mehr als zweihundert Gefangenen war es unumgänglich, die Zellen wenigstens einmal im Monat zu säubern, um Erkrankungen vorzubeugen.
Die Türen des Hauptblocks wurden aufgestoßen. Eine Gruppe Männer
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