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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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füllte Grey ihnen zum drittenmal nach.
    Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und betrachtete seinen Gast aufmerksam.
    »Empfinden Sie Ihr Leben als Last, Mr. Fraser?«
    Der Blick des Schotten verharrte lange und prüfend auf dem Major. Nachdem er in dessen Zügen nichts als Neugierde entdeckte, gaben seine breiten Schultern nach, und der grimmige Zug um den Mund glättete sich. Er lehnte sich zurück und bewegte die Rechte langsam hin und her, öffnete und schloß sie, um die Muskeln zu dehnen. Grey sah, daß die Hand einmal stark verletzt gewesen sein mußte, denn im Schein des Feuers ließen sich kleine Narben erkennen, und zwei Finger waren steif.
    »Nicht besonders«, antwortete Fraser leise. Kühl blickte er Grey in die Augen. »Ich glaube, die größte Bürde ist es, jene zu lieben, denen wir nicht helfen können.«

    »Ist es nicht viel schlimmer, niemanden zu haben, den man lieben kann?«
    Fraser antwortete nicht sofort. Vielleicht verschaffte er sich Überblick über die Position der Figuren auf dem Brett.
    »Das ist Leere«, sagte er schließlich leise, »aber keine Bürde.«
    Es war spät geworden. Bis auf die Schritte des Wachsoldaten im Hof drang kein Laut aus der Festung.
    »Ihre Frau… Sie sagten, sie sei eine Heilerin gewesen?«
    »Ja. Sie… sie hieß Claire.« Fraser schluckte, hob sein Glas und trank einen Schluck, als wolle er etwas hinunterspülen.
    »Sie haben sie sehr geliebt, nicht wahr?« sagte Grey leise.
    Er spürte bei dem Schotten das gleiche Bedürfnis, das auch ihn kurz zuvor beherrscht hatte: einen bisher unausgesprochenen Namen preiszugeben, um diese Liebe für einen Moment wieder heraufzubeschwören.
    »Ich wollte Ihnen schon seit längerem danken, Major«, erklärte der Schotte plötzlich.
    Grey war verwirrt. »Mir danken? Wofür?«
    Fraser blickte auf.
    »Für die Nacht in Carryarrick, als wir uns zum erstenmal begegnet sind.« Unverwandt sah er Grey an. »Für das, was Sie für meine Frau getan haben.«
    »Sie erinnern sich also«, stellte Grey heiser fest.
    »Ich habe es nicht vergessen«, erklärte Fraser schlicht. Grey warf einen verstohlenen Blick auf sein Gegenüber, doch er las in den schrägen blauen Augen kein Anzeichen von Spott.
    Förmlich nickte Fraser ihm zu. »Sie waren ein würdiger Feind, Major. Wie sollte ich Sie vergessen?«
    John Grey lachte verbittert auf. Seltsamerweise war er weitaus weniger erregt, als er befürchtet hatte, nun, wo die Rede tatsächlich auf diese beschämende Angelegenheit kam.
    »Wenn ein Sechzehnjähriger, der sich vor Angst in die Hosen macht, in Ihren Augen ein würdiger Feind ist, Mr. Fraser, wundert mich die Niederlage der schottischen Armee kaum.«
    Fraser lächelte schwach.
    »Ein Mann, der sich nicht vor Angst in die Hosen macht, wenn man ihm eine Pistole an die Schläfe setzt, hat entweder keine Gedärme oder keinen Verstand.«

    Grey mußte unwillkürlich lachen. Auch Frasers Mundwinkel zuckten.
    »Sie haben nicht geredet, um Ihr eigenes Leben zu retten, sondern die Ehre einer Frau. Die Ehre meiner Frau«, sagte Fraser leise. »Und das hat in meinen Augen nichts mit Feigheit zu tun.«
    Die Worte des Schotten waren eindeutig aufrichtig gemeint.
    »Ich habe für Ihre Frau gar nichts getan«, antwortete Grey ziemlich heftig. »Sie war schließlich nicht in Gefahr.«
    »Nur wußten Sie das nicht«, wandte Fraser ein. »Ihr Leben haben Sie aufs Spiel gesetzt, um ihr Leben und ihre Ehre zu retten. Allein die Absicht zählt… Ich habe ab und zu daran gedacht, seit ich… seit ich sie verloren habe.« Das Zögern in seiner Stimme war kaum wahrnehmbar, nur ihr gepreßter Klang ließ Frasers wahre Gefühle erahnen.
    »Ich verstehe.« Grey seufzte tief. »Es tut mir leid, daß Sie sie verloren haben«, fügte er förmlich hinzu.
    Eine Weile hingen sie schweigend ihren Gedanken nach. Dann blickte Fraser auf.
    »Ihr Bruder hatte recht, Major«, sagte er. »Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen eine gute Nacht.« Er stand auf, setzte das Glas ab und verließ den Raum.
     
    In mancherlei Hinsicht fühlte er sich an seine Jahre in der Höhle und seine Besuche im Gutshaus - Oasen der Wärme und Zuneigung in einer Wüste der Einsamkeit - erinnert. In Ardsmuir war es umgekehrt. Hier verließ er eine überfüllte, schmutzige Zelle und stieg hinauf in die prachtvolle Suite des Majors, wo er sich im Gespräch und bei einem reichlichen Mahl körperlich und geistig entspannen konnte.
    Aber auch hier hatte er das Gefühl, daß ihn der Wechsel

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