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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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ist« war sein zweiter, verbunden mit dem überwältigenden Verlangen, durch das Fenster zu klettern und den Jungen aufzunehmen. Das Köpfchen würde genau in seine Handfläche passen. Er erinnerte sich, wie er den kleinen Körper kurz an sein Herz gedrückt hatte.
    »Du bist ein starkes Kerlchen«, hatte er geflüstert. »Stark, tapfer und hübsch. Aber, o Gott, wie winzig du bist.«
    Lady Dunsany wartete geduldig. Jamie neigte den Kopf respektvoll. Er wußte nicht, ob er gerade einen schweren Fehler beging, war aber unfähig, sich anders zu entscheiden.
    »Ich danke Ihnen, Mylady, aber… ich glaube, ich gehe nicht… noch nicht.«
    Lady Dunsany runzelte die Brauen, neigte aber den Kopf ebenso höflich wie er.
    »Wie Sie möchten, MacKenzie. Sie brauchen nur zu fragen.«
    Sie wandte sich um und kehrte in die Welt von Helwater zurück, das er nun noch stärker als bisher als sein Gefängnis empfand.

16
    Willie
    Zu seiner größten Überraschung wurden die folgenden Jahre für Jamie in mancherlei Hinsicht zur glücklichsten Zeit seines Lebens, wenn er von seiner Ehe einmal absah.
    Da er keine Verantwortung für Pächter, Gefolgsmänner oder andere trug, sondern sich nur noch um sich selbst und die Pferde kümmern mußte, erwies sich das Leben als recht einfach. Jeffries hatte den anderen Dienstboten so viel über Ellesmeres Tod erzählt, daß man Jamie mit Respekt begegnete, ihm aber niemals zu nahe trat.
    Er hatte genug zu essen, warme, ordentliche Kleidung, und die hin und wieder heimlich eintreffenden Briefe aus den Highlands gaben ihm die Gewißheit, daß seine Familie ähnlich gut versorgt war.
    Im Lauf der Zeit lebte seine seltsame Freundschaft zu Lord John Grey wieder auf. Wie versprochen kam der Major einmal im Vierteljahr, um die Dunsanys für einige Tage zu besuchen. Er zeigte allerdings keinerlei Neigung, sich an Jamies Lage zu weiden - tatsächlich sprach er kaum mit ihm.
    Nach und nach war Jamie klargeworden, was Lady Dunsanys Angebot, ihn gehen zu lassen, wirklich bedeutete. John Grey stammt aus einer sehr einflußreichen Familie… Es war nicht der Wunsch Seiner Majestät gewesen, ihn hierherzuschicken, statt ihn zu der gefährlichen Überfahrt nach Amerika und einem Dasein als Zwangsarbeiter zu verdammen. Das hatte Jamie John Grey zu verdanken.
    Und er hatte es nicht aus Rache oder unsittlichen Motiven heraus getan, denn er war niemals schadenfroh und machte auch keine Annäherungsversuche. Auch ging das Gespräch nie über den
Austausch von Unverbindlichkeiten hinaus. Nein, er hatte Jamie hierhergeschickt, weil er ihm nichts Besseres anbieten konnte. Da Grey Jamie zu jener Zeit nicht einfach freilassen konnte, hatte er alles unternommen, was in seiner Macht stand, um ihm die Gefangenschaft so angenehm wie möglich zu machen, und ihm Luft, Licht und Pferde geschenkt.
    Es kostete etwas Überwindung, aber Jamie tat es. Als Grey bei seinem nächsten Besuch im Stallhof erschien, hatte Jamie so lange gewartet, bis der Major allein war. Während er einen großen Fuchswallach bewunderte, stellte Jamie sich neben ihn und stützte sich auf den Zaun. Einige Minuten lang betrachteten sie schweigend das Pferd.
    »Königsbauer zu König auf vier«, sagte Jamie schließlich leise, ohne den Mann neben sich anzublicken.
    Er fühlte Greys erstaunten Blick, sah ihn aber nicht an.
    »Damespringer zum Dameläufer drei«, antwortete Grey etwas heiser.
    Seitdem ging Grey bei jedem Besuch zu Jamie in den Stall, hockte sich auf den rohgezimmerten Schemel des Schotten und verbrachte plaudernd den Abend mit ihm. Sie hatten kein Schachbrett zur Verfügung und spielten nur selten mündlich eine Partie, aber sie nahmen ihre spätabendlichen Gespräche wieder auf - Jamies einzige Verbindung zur Welt außerhalb von Helwater und ein kleines Vergnügen, auf das sich beide freuten.
    Aber vor allem hatte er Willie. Helwater war auf Pferdezucht ausgerichtet. Schon bevor der Kleine sicher auf den Beinen war, hatte ihn sein Großvater auf ein Pony gesetzt und ihn auf der Koppel herumgeführt. Als Willie drei Jahre alt war, ritt er bereits selbst - unter dem wachsamen Blick von MacKenzie, dem Pferdeknecht.
    Willie war ein kräftiges, mutiges und hübsches Kerlchen. Er besaß ein strahlendes Lächeln und konnte jeden um den Finger wickeln. Zudem war er bemerkenswert verwöhnt. Er war der neunte Graf von Ellesmere und der einzige Erbe von Ellesmere und Helwater und setzte sich rücksichtslos über seine ihn vergötternden Großeltern, seine

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