Ferne Ufer
Menschen in Helwater zu verabschieden - und von Willie.
»Morgen gehe ich weg«, sagte Jamie nüchtern, ohne den Blick von der Fessel der braunen Stute zu wenden. Die Hornschicht, die er abfeilte, löste sich in Schuppen und legte sich wie grober schwarzer Staub auf den Stallboden.
»Wo gehen Sie hin? Nach Derwentwater? Kann ich mitkommen?« Willie, Lord Dunsany, neunter Graf von Ellesmere, hopste von der Kante des Unterstands.
»Lassen Sie das«, sagte Jamie. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten sachte an Milly herangehen? Sie ist nervös.«
»Warum?«
»Sie wären auch unruhig, wenn ich Sie ins Knie kneifen würde.« Eine große Hand streckte sich nach ihm aus und zwickte ihn knapp überhalb des Knies. Willie quiekste und zuckte kichernd zurück.
»Kann ich auf Millyflower reiten, wenn Sie fertig sind, Mac?«
»Nein«, antwortete Jamie geduldig zum soundsovielten Mal an diesem Tag. »Ich habe Ihnen schon tausendmal erklärt, sie ist noch zu groß für Sie.«
»Aber ich will sie reiten!«
Jamie seufzte, erwiderte aber nichts, sondern ging um die Stute herum und hob Millefleurs’ linken Huf hoch.
»Ich habe gesagt, daß ich Milly reiten will!«
»Ich habe es gehört.«
»Dann satteln Sie sie für mich. Sofort!«
Der neunte Graf von Ellesmere reckte das Kinn, soweit es ging, doch als er Jamies kalten blauen Augen begegnete, mischte sich leiser Zweifel in seinen herausfordernden Blick. Langsam setzte MacKenzie den Huf auf dem Boden ab, erhob sich ebenso langsam zu seiner vollen Größe, stemmte die Hände in die Hüften, blickte auf den Grafen herab und sagte leise: »Nein.«
»Doch!« Willie stampfte mit dem Fuß auf den strohbedeckten Boden. »Sie müssen tun, was ich Ihnen sage!«
»Nein, muß ich nicht.«
»Doch!«
»Nein, ich…« Jamie schüttelte den Kopf so heftig, daß ihm sein rotes Haar um die Ohren flog, preßte die Lippen aufeinander und ging vor dem Jungen in die Hocke.
»Jetzt hören Sie mir mal zu«, sagte er. »Ich muß nicht tun, was
Sie von mir verlangen, ich bin nicht mehr länger Stallknecht. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich morgen weggehe.«
Willies Gesicht wurde vor Schreck aschfahl.
»Das geht nicht!« erklärte er. »Sie dürfen nicht weggehen.«
»Ich muß.«
» Nein !« Der kleine Graf preßte die Kiefer aufeinander, wodurch er eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Urgroßvater väterlicherseits bekam. Jamie konnte von Glück sagen, daß wahrscheinlich niemand in Helwater je Simon Fraser, dem Herrn von Lovat, begegnet war. »Ich lasse Sie nicht gehen!«
»Ausnahmsweise einmal, Mylord, haben Sie nichts dazu zu sagen«, entgegnete Jamie mit Bestimmtheit. Seine Trauer über den Abschied wurde ein wenig dadurch gemildert, daß er dem Jungen endlich den Marsch blasen konnte.
»Wenn Sie gehen…« Hilflos suchte Willie nach einem Drohmittel und hatte auch bereits eine Idee. »Wenn Sie weggehen«, wiederholte er zuversichtlicher, »kreische ich und schreie und jage den Pferden große Angst ein. Das haben Sie dann davon!«
»Einen Piepser, kleiner Schurke, und ich schmiere Ihnen eine!«
Die Aussicht, daß dieser verwöhnte Fratz die wertvollen Zuchtpferde durcheinanderbringen könnte, beunruhigte Jamie. Ohne jede Zurückhaltung starrte er den Jungen zornig an.
Dem kleinen Grafen traten vor Wut die Augen hervor, und sein Gesicht färbte sich rot. Er holte tief Luft, drehte sich um und rannte schreiend und gestikulierend am Stall entlang.
Millefleurs, bereits ziemlich ungehalten wegen der Pediküre, stieg, stampfte und wieherte laut. Die anderen Pferde fielen in ihr lautes Wiehern ein, während Willie sämtliche Schimpfwörter, die er kannte, herausschrie und wild gegen die Türen der Boxen trat.
Es gelang Jamie, die Longe zu fassen und die Stute und sich nach draußen zu manövrieren. Er band sie an den Koppelzaun und ging anschließend zurück in den Stall, um sich mit Willie zu befassen.
»Verdammt, verdammt, verdammt !« kreischte der Graf. »Dreck! Mist! Scheiße!«
Wortlos packte Jamie den Jungen am Kragen, hob ihn hoch und trug das wild um sich schlagende Kerlchen zum Schemel des Schmieds. Er setzte sich nieder, legte den Grafen übers Knie und verabreichte ihm fünf, sechs kräftige Schläge auf das Hinterteil.
Dann drehte er den Knaben um und stellte ihn unsanft auf die Füße.
»Ich hasse Sie!« Das tränenverschmierte Gesicht des Jungen war tiefrot, und seine Fäuste zitterten vor Wut.
»Ich habe Sie auch nicht sonderlich gern, kleiner
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