Ferne Ufer
sich aus seinem Lehnstuhl zu kämpfen versuchte, und dem aschfahlen Lord Dunsany, der sich unsicher an einer Tischkante festklammerte, hin- und herwandern.
Nachdem ihm Dunsany keine Anweisungen gab, sah der Kutscher zu Jamie. Dieser spürte eine maßlose Wut in sich aufsteigen. Weshalb erwartete man von ihm, einen Ausweg aus diesem Durcheinander zu finden? Dennoch, es war unumgänglich, daß sich der
Besuch aus Helwater schleunigst aus dem Staub machte. Er trat einen Schritt vor und nahm Dunsany beim Arm.
»Wir sollten jetzt gehen, Mylord«, sagte er. Er zog den ermatteten Edelmann vom Tisch weg und versuchte ihn in Richtung Tür zu schieben. Just in diesem Augenblick wurde jedoch der Ausgang versperrt.
»William?« Lady Dunsanys rundes, von Trauer gezeichnetes Gesicht zeigte über die Szene im Studierzimmer nur leichte Verwunderung. In ihren Armen hielt sie etwas, was wie ein großes, unordentliches Wäschebündel aussah. Mit hilfloser Geste hob sie es in die Höhe. »Das Mädchen hat gesagt, ich soll das Baby hierherbringen. Was…« Sie wurde von einem Aufschrei Ellesmeres unterbrochen. Trotz der gezückten Pistolen sprang der Graf aus seinem Sessel und schob den glotzenden Jeffries beiseite.
»Er gehört mir!« Er drückte Lady Dunsany unbarmherzig an die holzgetäfelte Wand, riß ihr das Bündel aus den Armen und preßte es an die Brust. Dann zog er sich ans Fenster zurück, von wo aus er Dunsany wild anstarrte.
»Mir, hören Sie?«
Das Bündel stieß einen lauten Schrei aus, als wollte es gegen diese Behauptung Einspruch erheben. Dunsany, den der Anblick seines Enkels in Ellesmeres Armen aufgerüttelt hatte, tat mit zornverzerrtem Gesicht einen Schritt nach vorn.
»Geben Sie ihn her!«
»Fahren Sie zur Hölle, Sie Schwächling!« Mit ungeahnter Behendigkeit wich Ellesmere Dunsany aus. Er riß die Vorhänge zur Seite und kurbelte mit einer Hand das Fenster hoch, während er mit der anderen das greinende Baby an sich drückte.
»Verlassen… Sie… mein… Haus!« Mit jeder Drehung der Kurbel stieß er keuchend ein Wort hervor. »Gehen Sie. Auf der Stelle, oder ich lasse den kleinen Bastard fallen!« Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, hielt er das schreiende Baby in die dunkle Nacht.
Rasch und ohne Furcht folgte Jamie Fraser seinem Instinkt, der ihn durch viele Schlachten geführt hatte. Er schnappte sich eine Pistole aus der Hand des versteinerten Jeffries und feuerte.
Der Knall ließ alle verstummen. Selbst das Kind hörte auf zu schreien. Verdutzt runzelte Ellesmere die buschigen Brauen. Als er
taumelte und fiel, machte Jamie einen Satz nach vorne. Wie angewurzelt blieb er vor dem Kamin stehen. Er achtete weder auf die Flammen, die an seinen Waden leckten, noch auf Ellesmere, der zuckend zu seinen Füßen lag, noch auf Lady Dunsanys hysterisches Geschrei. Zitternd wie Espenlaub, die Augen geschlossen, unfähig, sich zu rühren oder zu denken, umklammerte Jamie das formlose, wimmernde, sich windende Bündel, das sein Sohn war.
»Ich möchte MacKenzie sprechen. Allein.«
Lady Dunsany wirkte im Stall völlig fehl am Platze. Erstaunt blickte Hughes seine Herrin an. Dann verneigte er sich und zog sich in seine Kammer hinter dem Aufzäumstall zurück. Sie und MacKenzie standen sich nun allein gegenüber.
Sie war in makelloses schwarzes Leinen gekleidet. Ihr Gesicht war bleich und um die Nasenflügel und in den Augenwinkeln leicht gerötet. Sie sah aus wie ein sehr kleines und würdevolles Kaninchen in Trauerkleidung. Jamie hätte ihr gern einen Platz angeboten, aber es gab nichts außer einem Heuhaufen oder einer umgedrehten Schubkarre, worauf sie sich hätte setzen können.
»Das Untersuchungsgericht ist heute morgen zusammengetreten, MacKenzie«, sagte sie.
»Aye, Mylady.« Er wußte es bereits. Auch die anderen Knechte wußten es - sie hatten den ganzen Vormittag über Distanz zu ihm gewahrt. Keineswegs aus Respekt, nein, eher wie aus Furcht vor jemandem, der von einer tödlichen Krankheit befallen war. Da Jeffries mit angesehen hatte, was im Salon von Ellesmere vorgefallen war, wußten auch die anderen Bescheid. Doch niemand sprach darüber.
»Das Urteil lautet, daß ein Unfall zum Tod von Ellesmere geführt hat. Man vermutet, daß Seine Lordschaft über den Tod meiner Tochter… verzweifelt war.« Ihre Stimme zitterte leicht, blieb jedoch fest. Die zarte Lady Dunsany hatte die Tragödie weitaus besser verkraftet als ihr Mann. Den Dienstboten zufolge hatte der Lord nach der Rückkehr
Weitere Kostenlose Bücher