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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Bastard!« knurrte Jamie.
    Willie richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich bin kein Bastard!« kreischte er. »Nein, ich bin keiner, ich bin keiner! Nehmen Sie das zurück. Keiner darf das zu mir sagen! Nehmen Sie es zurück, hab’ ich gesagt!«
    Entsetzt sah Jamie ihn an. Also hatte man geklatscht, und Willie hatte es gehört. Er hatte seinen Abschied zu lange hinausgezögert.
    Er atmete tief ein und hoffte, seine Stimme würde nicht zittern.
    »Ich nehme es zurück«, erklärte er leise. »Ich hätte diesen Ausdruck nicht verwenden dürfen, Mylord.«
    Er wollte niederknien und seinen Sohn umarmen oder ihn hochheben und an seiner Schulter trösten - doch so etwas durfte sich ein Knecht gegenüber einem Grafen, selbst einem jungen, nicht erlauben. Die Innenfläche seiner linken Hand brannte. Das war wohl die einzige väterliche Liebkosung gewesen, die er seinem Sohn je würde zukommen lassen können.
    Willie wußte, wie ein Graf aufzutreten hatte. Mannhaft versuchte er, die Tränen aufzuhalten, schniefte laut und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab.
    »Erlauben Sie, Mylord.« Jamie kniete sich vor ihn und tupfte mit seinem rauhen Taschentuch behutsam das Gesicht des kleinen Jungen ab. Mit rotgeränderten, traurigen Augen blickte Willie ihn an.
    »Müssen Sie wirklich gehen, Mac?« fragte er leise.
    »Aye, ich muß.« Jamie sah ihm in die dunkelblauen Augen, die den seinen so herzzerreißend ähnlich waren, und kümmerte sich nicht darum, was richtig oder falsch war. Er nahm den Knaben fest in die Arme und drückte ihn an sein Herz. Er hatte den Kopf an seine Schulter gebettet, damit der Kleine nicht die Tränen sah, die in sein dichtes, weiches Haar fielen.
    Die Arme des Jungen schlangen sich fest um Jamies Hals, und er spürte, wie der kleine, kräftige Körper gegen die Tränen ankämpfte.
Er tätschelte ihm den Rücken und strich ihm übers Haar, wobei er Liebkosungen auf gälisch murmelte in der Hoffnung, daß Willie sie nicht verstand.
    Nach einer Weile löste er die Arme des Knaben und schob ihn sanft von sich weg.
    »Kommen Sie mit in meine Kammer, Willie. Ich möchte Ihnen ein Andenken geben.«
    Schon vor langer Zeit war er vom Scheunenboden in Hughes gemütliche Kammer gezogen, nachdem der alte Knecht aufgehört hatte zu arbeiten. Der kleine Raum war nur bescheiden möbliert, hatte aber zwei Vorteile: Er war warm und abgeschirmt von den anderen.
    Es standen nicht nur ein Bett, ein Schemel und ein Nachttopf darin, sondern auch ein Tisch mit ein paar Büchern, die Jamie gehörten, eine große Kerze in einem irdenen Kerzenhalter sowie eine kleinere Kerze, die er vor einer Statue der Mutter Maria aufgestellt hatte. Jenny hatte sie ihm geschickt.
    »Wofür ist die kleine Kerze?« wollte Willie wissen. »Oma sagt, daß nur stinkende Papisten Kerzen vor heidnischen Bildern anzünden.«
    »Ich bin so ein stinkender Papist«, erklärte Jamie und verzog schalkhaft das Gesicht. »Aber es ist kein heidnisches Bildnis, es ist eine Figur der Muttergottes.«
    »Wirklich?« Diese Enthüllung fand der Junge offensichtlich faszinierend. »Weshalb zünden Papisten denn Kerzen vor Figuren an?«
    Jamie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Tja, vielleicht… ist es eine Art zu beten und an etwas zu denken. Man zündet die Kerze an, sagt ein Gebet und denkt an die Menschen, die man mag. Und solange sie brennt, erinnert sich die Kerze für einen an die geliebten Menschen.«
    »Und an wen denken Sie?« Willie blickte zu ihm auf. Seine Haare waren zerzaust, aber seine blauen Augen leuchteten interessiert.
    »Ach, an eine ganze Menge Leute. An meine Verwandten in den Highlands - meine Schwester und ihre Familie. An Freunde. An meine Frau.« Und manchmal brannte die Kerze auch in Erinnerung an eine junge, verwegene Frau namens Geneva. Aber das sagte er nicht.

    Willie runzelte die Stirn. »Sie haben doch gar keine Frau.«
    »Nein, nicht mehr. Aber ich denke immer an sie.«
    Willie streckte seinen kurzen Zeigefinger aus und berührte vorsichtig die kleine Figur. Die Hände der Frau waren zum Gruß gespreizt, und ihr hübsches Gesicht trug mütterliche Züge.
    »Ich will auch ein stinkender Papist werden«, erklärte Willie entschieden.
    »Das geht nicht«, rief Jamie halb amüsiert, halb gerührt. »Ihre Großmutter und Ihre Tante würden einen Tobsuchtsanfall bekommen.«
    »Hätten sie dann Schaum vor dem Mund wie der tollwütige Fuchs, den Sie getötet haben?« fragte Willie entzückt.
    »Würde mich nicht wundern!«

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