Ferne Verwandte
durchlebe ich - auch wenn ich mir dessen gar nicht recht bewusst bin - zum ersten Mal, wie jede Geschichte zwischen Mann und Frau abläuft: Am Anfang kommt es einem vor wie ein Traum, der nie enden möge, später dann - nicht viel später allerdings - werden die Dinge kompliziert. Es gibt Regeln, Befehle und Verbote, und schon hat sich der Traum in einen Albtraum verwandelt, aus dem man nur noch fliehen möchte.
Umso mehr, als es in der Zwischenzeit wieder Sommer geworden war und sich das Dorf seit Saisonbeginn mit Turist -Mädchen füllte, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und wir mit den Misantropi jeden Abend zu irgendeiner Hochzeit fuhren, um Musik zu machen. Wir fuhren mit dem VW-Bus, der zwar nach Schafskäse stank - es war der Wagen, den Motte für die Jahrmärkte benutzte -, als Modell aber nach wie vor zu den begehrtesten Objekten jener Zeit gehörte. Alle jungen Leute träumten davon, einen zu besitzen, um sich auf die Straßen der Welt zu wagen. Wir waren bescheidener und fuhren über kleine staubige Landstraßen, die in den Felsen geschnitten waren und oberhalb von furchterregenden Schluchten oder mitten durch finstere Wälder verliefen - die niedrigeren Äste prallten lautstark gegen unser Dach -, zu unseren Auftrittsorten: Säle mit unverputzten Wänden in abgelegenen Bauernhöfen, Tennen, auf denen Hunde, Schweine und Hühner herumliefen, Restaurants in Touristenorten, die zwar trist waren, aber voller netter Turist -Mädchen, welche uns, obwohl sie an das Ritual der Konzerte gewöhnt waren, mit denselben spitzen Schreien empfingen, mit denen sie bei sich daheim die wahren Popstars bedachten. Dabei spielten wir nur Mazurkas, Instrumentalstücke und vor allem Tarantellas, was sich vielleicht eher für die jungen Turist -Mütter eignete, die dank der Abwesenheit ihrer Ehemänner - fürs Erste waren diese noch in ihren Städten geblieben, um zu arbeiten - aufblühten und sich danach sehnten, die gefeierte Welt der Pilzkopfmusiker endlich einmal aus der Nähe kennenzulernen.
Aufgrund ihres Alters hatten sie so etwas, im Gegensatz zu ihren Töchtern, bisher nur im Fernsehen erlebt.
Wir taten alles, um sie nicht zu enttäuschen. Rino kümmerte sich, so gut es ging, um jedes Detail, angefangen bei der Kleidung. Wir protzten mit einer Art Uniform, die aus alten Kleidern zusammengestoppelt war - mit glänzenden Knöpfen versehene Jacken, mit Samt aufgepeppte Revers, Dreiviertelhosen über spitzen Stiefeletten -, und zwar wir alle bis auf ihn selbst, Rino, der es als Solosänger und Lichtgestalt der Gruppe vorzog, sich von uns abzuheben. Er trug Camouflage-Hosen, weite, bis zum Nabel offene Hemden mit Renaissancekragen, dann Seidentücher als Gürtel, die er in einem bestimmten Moment seines Auftritts aus den Schlaufen riss, um sich mit einstudierten lasziven Bewegungen die Eier damit zu massieren. Auf dieses Signal hin waren wir nicht mehr zu halten, hörten mit den Polkas auf und schwelgten in den damals beliebten Riffs. Der Zauber wirkte, und wir fühlten, wie die Blicke der Turist -Frauen, Töchter und Mütter gleichermaßen, sich durch den abgewetzten Stoff unserer Szenefummel bis auf die nackte Haut bohrten. Schon am ersten Abend, als ich auf der Hammond die Melodie von Black Magic Woman nur andeutete, hatte ich den Schmerz vergessen, den mir Renata am Sonntag bei Ferienbeginn zugefügt hatte, indem sie mich auf dem Friedhof versetzt hatte, weil sie zum Hof ihrer Großeltern in Treviso gefahren war, ohne sich auch nur von mir zu verabschieden. Schon an diesem ersten Abend passierte etwas.
Irgendwann tritt diese üppige rothaarige Belgierin, eine gewisse Monique, an Rino heran und fragt ihn schnippisch, ob wir My Sweet Lady Jane spielen könnten. Mit Kennermiene wiegt er den Kopf hin und her, erteilt uns Anweisungen, plustert sich auf wie ein Pfau und schmettert: Mai suit ledi Dschein, a ju dschet schet wui plein . Die Person hält sich zwar den Bauch vor Lachen, fängt dann aber doch an, ihren drallen, in ein grünes Seidenkleid gezwängten Körper hinund herzubewegen, wobei sie droht, auf den vergoldeten Stöckeln ihrer ebenfalls grünen Schuhe umzukippen. Die ganze Zeit sieht sie
mich an, und sobald der nächste Gang aufgetragen wird, kommt sie auf mich zu, beglückwünscht mich zu meiner Art zu spielen und fragt mich, ob wir nicht mit dem Auto ihres Vaters, einem flotten Renault Fuego mit allen Schikanen, eine Spritztour machen wollen. Sie ist schon fast dabei, einen Kavalierstart
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