Ferne Verwandte
hinzulegen, als Rino daherkommt und einfach nicht kapiert, dass er zu verschwinden hat - er ist, wie gesagt, ein aufdringlicher Kerl. Prompt steigt er hinten ein. Während wir durch die Haarnadelkurven flitzen, quasselt die Flämin in ihrem Mischmaschitalienisch über die Rockbands, für die sie schwärmt - hauptsächlich Sachen für Eurofestivals -, über ihre Hippiefreunde und darüber, dass das Leben in Brüssel so unvergleichlich viel aufregender ist als in diesem Land hier, wo sie gezwungen ist, sich so anzuziehen wie jetzt gerade. Um das zu beweisen, deutet sie auf ihr grünes Lacktäschchen. Ich öffne es. Drinnen ist ein ganzes Album mit Fotos, auf denen unter anderem auch sie selbst auftaucht: An einem Lagerfeuer sitzen mit Gitarren bewaffnete strohblonde Pilzköpfe um sie herum; bei einem Fest wird sie geküsst von einem Paar Lockenköpfe mit Halstuch, sie nur in einem schwarzen Body und Strümpfen von derselben Art wie die, die jetzt an ihren Beinen glänzten, deren dank ausländischer Gene veredelte Form wir zwischen zwei Pedaltritten stets aufs Neue bewundern können. Unterdessen macht sie eine Kehrtwendung und bringt uns mit Vollgas zum Ausgangspunkt zurück.
Sie stoppt das Auto auf dem Schotterweg, ein paar hundert Meter vor dem Haus, wo die Hochzeit gefeiert wird, und öffnet das Fenster. Wir hören das Stimmengewirr vom Fest und schnuppern in die Abendluft hinein, die nach Frische und Blumen riecht. Ohne uns eine anzubieten, zündet sie sich eine Camel an und schweigt abwartend. Ich betrachte sie im Halbdämmer, sehe die Glut der Zigarette bei ihren gierigen Zügen aufleuchten, und da Rino trotz meiner erneuten Gestikuliererei keine Anstalten zu verschwinden macht, fange ich an, ihre aus Belgien importierten Schenkel zu erkunden. Sie spreizt sie. Er schaut zu, begnügt sich aber nicht damit, denn als ich versuche, ihre Titte zu streicheln, stoße ich
dort auf seine Hand. Da sie nichts dagegen einzuwenden hat, habe ich auch nichts dagegen. In diesem Augenblick würde ein Außenstehender den Überblick über das, was im Renault Fuego abläuft verlieren, und wir hätten so weitergemacht, hätten wir nicht jemanden schreien gehört. Es ist Adolfino. Er ist wütend. Wo wir denn steckten? Seit einer halben Stunde würden sie auf uns warten. Dieser Kerl ist dermaßen lästig! Bei der Musik geht es ihm nur um die Moneten. Er ist eben der Sohn seines Vaters, der sich, reich, wie er ist, jeden Morgen in aller Herrgottsfrüh als Bettler verkleidet auf den Weg macht, um seinen Schafskäse zu verkaufen, wo er doch ein herrschaftliches Leben führen könnte. Wir müssen Monique also sich selbst überlassen.
Rino sieht mich allerdings jetzt in einem anderen Licht. Als wir das Haus betreten, sagt er: »Nicht übel für einen armen Waisenknaben!« Und als der Abend zu Ende ist, spricht er mit Adolfino: »Es ist gut gelaufen, was? Aber mir scheint, dass du etwas müde bist.« Er hat wirklich eine kränkliche Gesichtsfarbe. »Wegen der Instrumente brauchst du dir keine Gedanken zu machen, darum kümmern Carlo und ich uns.« Ich würde mich gern verdrücken, aber er schiebt das Kinn in Richtung Monique, die auf dem Schotterweg wartet.
An der Mühle angekommen, denken wir gar nicht daran, den VW-Bus auszuladen. Dafür laden wir Monique aus. Lachend steigt sie auf unsere ineinandergeschlungenen Hände. Ihr üppiger Körper bricht uns fast die Handgelenke, während wir sie hineintragen und wie die beiden Halstuchträger auf dem Foto küssen, nur intimer. Sobald das Licht aus ist, springt sie punktgenau auf das Lager mit den Getreidesäcken, und wir treiben es die ganze Nacht, von einer Unterbrechung mal abgesehen. Irgendwann höre ich nämlich, wie die Tür aufgeht. Auch Rino hört es. Und auch Monique. Der Lichtschein der Morgendämmerung spiegelt sich auf unseren nackten und vom staubigen Leinen der Säcke gereizten Körpern. Es ist Motte, Adolfinos Vater. Er lädt die Instrumente aus dem Kleinbus und packt, keuchend und fluchend vor Anstrengung, seinen Schafskäse
ein. Sobald er die Tür wieder zugemacht hat, atmen wir erleichtert auf und vögeln weiter.
In diesem glorreichen Sommer taten wir überhaupt nichts anderes. In den großen Städten des Nordens hatten die Turist -Mädchen und ihre Mütter, deren fortgeschrittenes Emanzipationsniveau im Dorf bereits legendär war, die Möglichkeit gehabt, die Entwicklung der großen Themen jener Zeit - die sexuelle Befreiung, die Gleichheit der Geschlechter und das daraus
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