Ferne Verwandte
erst einmal erleichtert: »Danke, Großmütterchen. Es ist schwere Arbeit, aber sie wird Früchte tragen.« Wenigstens hoffte ich das, denn die Hochzeitssaison neigte sich dem Ende zu, und vom Geld hatte ich noch nichts gesehen: Es war Motte, der uns nicht nur die Engagements verschaffte, sondern auch kassierte, doch ich war vertrauensselig.
Bis wir - ich, Rino und die anderen Misantropi - uns eines Nachmittags Mitte September in der Bar an einen Tisch lümmeln. Imma hatte mich feindselig angeschaut wie immer, seit es zwischen uns aus ist, und ich hatte ihr mit einem beruhigenden Lächeln zu verstehen gegeben, dass sie sich keine Sorgen machen soll: Bei allem, was ich erlebe, könnte ich noch ganz andere Dinge erzählen! Jedenfalls trinken wir ein Bier und kommen uns vor wie eine jener berühmten Popgruppen, die man in den Zeitungen sieht, und jetzt bringe ich die Frage aufs Tapet. Adolfino brummt, dass er mit seinem Vater darüber reden werde.
Am Abend nach dem x-ten Hochzeitsfestchen erscheint der Vater endlich mit den Gagen, aber sie sind nicht alle gleich hoch. Mir steht genau die Hälfte dessen zu, was die anderen bekommen. Das ist eine der ersten großen Demütigungen, die ich erleide, und zwar nicht wegen des Geldes. Oder vielleicht doch deswegen, denn Geld
ist, wie mir jetzt bewusst wird, nur ein Mittel, um die Menschen zu bewerten, und bei der ganzen Mühe, die ich mir gegeben habe, um diesen vier Bauerntölpeln einen kleinen Schimmer von der Kunst der Klänge einzupflanzen, bin ich eben nur so wenig wert.
»Es ist bloß, weil du kein eigenes Instrument hast«, erklärt Motte scheinheilig.
»Das kommt mir als Miete zu hoch vor.«
»Nehmen oder gehen«, sagt Adolfino, den Kopf in den Nacken gelegt. Er ist noch so klein und schon ein solches Arschloch.
»Ich nehme und gehe«, antworte ich, fest entschlossen, meine Ansprüche durchzusetzen, und während Rinos Dreikäsehoch-Onkel mir weitere finanzielle Sanktionen für den Fall meines Ausstiegs androht, empfinde ich es am schmerzlichsten, dass sein Neffe, mein Busenfreund - ja, genau der! -, ihm auch noch beipflichtet.
»Und du willst ein Anarchopazifist sein? Vielen Dank! Nichts weiter als ein Scheißkapitalist bist du!«, brülle ich ihn mit der für diese Epoche typischen, ideologisch befrachteten Emphase an, bin aber im Innersten gekränkt wegen seines Verrats. Und dies ist das letzte Mal, dass man mich zusammen mit den Misantropi sieht.
18
Zu Beginn dieses Herbstes fanden zwei wichtige Ereignisse statt, wobei das zweite mir half, das erste zu überleben: Renata zog nach Florenz, und Nonnilde ließ, wie es fast schon alle im Dorf gemacht hatten, im Haus ein Badezimmer mit Wanne einbauen.
Nach dem Sommer und der Enttäuschung, die er für mich gebracht hatte, fühlte ich mich, wie man sich am Morgen nach einem sinnlosen Besäufnis fühlt. Das Einzige, was mich noch aufrechterhielt, war der Gedanke, Renata bald wiederzusehen - trotz allem hatte ich ja nie aufgehört, sie zu lieben. Sicher, in diesen Monaten hatte sie mir nicht einmal eine Postkarte geschrieben, aber dafür war sie mir oft im Traum erschienen. So hatte ich voller Ungeduld auf den ersten Schultag gewartet. An jenem Morgen aber tauchte sie nicht auf, und als ich erfuhr, dass es sich nicht um eine vorübergehende Abwesenheit handelte, weil es ihrem Vater gelungen war, endlich seine Versetzung zu bewirken, verfiel ich in die finsterste Depression.
Den einzigen Trost außer dem Melissentee, den Tante Ines mir gegen die Melancholie zubereitete, spendete mir die Badewanne. Kaum hatte sich Nonnilde auf den Weg zur Ölfabrik gemacht, drehte ich die Hähne auf - wie wunderbar ist heißes Wasser direkt aus dem Hahn! -, ließ sie bis zum Rand volllaufen und blieb stundenlang darin liegen, verloren in einer Art dampfendem Nirwana. Sicher, manchmal gewann mein sinnliches Naturell die Oberhand, und ich holte mir einen runter, sonst aber wanderte mein Geist, wie seit den Zeiten meiner einsamen Jugend nicht mehr, in die unendlichen
Sphären der Phantasie. Mit derselben Kraft wie damals sprudelte aus meinem verwundeten Herzen der unaufhaltsame Fluss der Poesie hervor. Ich fing an zu schreiben und zu komponieren - Musik, die ich ins Repertoire der Sonntagsmesse hineinschmuggelte.
Der folgende Winter war kalt und schneereich. Wir blieben einen ganzen Monat lang von der Welt abgeschnitten, und zu guter Letzt beraubte uns noch ein umgestürzter Mast der elektrischen Energie. Nun streifte ich während
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