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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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eines Dreikäsehochs, denn er kann höchstens dreizehn sein, auch wenn Rino ihm jetzt ein »Ciao, Onkel!« zuruft. Ich starre ihn verdattert an. »Was ist denn daran so komisch? Er ist mein Onkel. Der mit dem Roller«, erklärt er und fährt gleich fort: »Was hab ich dir gesagt? Hier geht es doch gleich ganz anders zu.« Dann greift sich Rino so ein Freilandhuhn, das auf seinem Stuhl sitzen geblieben ist, und fädelt sich mit der angemessenen Sicherheit in den Wirbel der Derwische ein. Seine Körperhaltung ist tadellos: Die Ellenbogen angewinkelt, die Brust herausgestreckt wie ein verliebter Gockel, gleitet er federleicht über den Boden, und seine Hände legen sich ohne weitere Förmlichkeiten gleich auf die Hinterbacken seiner Tanzpartnerin. Nach etlichen Mazurkas, viel Gegrinse und ein paar Sätzen, die er der Erwählten ins Ohr geflüstert hat, führt er sie aus dem arabischen Pavillon hinaus, und als sie etwa zehn Minuten später zurückkehren, ist sie noch röter im Gesicht, während er Strohhalme im Afrohaar und zwei Gläser Wein in den Händen hat. Nicht einmal besonders leise sagt er: »Tolle Nummer! Wetten, dass sich die Weiber nicht mal in Schweden so leicht flachlegen lassen.« Er reicht mir ein Glas: »Trink das, denn jetzt gibt’s gleich was zu hören«, und geht entschlossenen Schrittes auf die Musiker zu, die, sobald sie ihn näher kommen sehen, zu spielen aufhören. Der Mikro-Onkel am Schlagzeug steht auf und überreicht Rino die Drumsticks. Der stellt das Mikrofon ein, haut ein paarmal wie irre auf die Snare, verlangsamt dann und hebt an mit He-j Jo-oe . Den Rest des Textes saugt er sich in einem Englisch Marke Eigenbau aus den Fingern. Aber er hat eine tolle Stimme, und die Musik ist voller Energie, die von außen kommt.
Zum Finale legt der Gitarrist ein langes Solo mit dem Mund hin - und spielt in Hendrix-Manier Gitarre mit den Zähnen. Ich bin dermaßen verblüfft, dass ich den Wein in einem Zug austrinke und fast umkippe: So ähnlich muss der Essig von Golgatha geschmeckt haben! Nach seinem Auftritt steht Rino auf und nimmt den uneingeschränkten Applaus des anwesenden Publikums entgegen und auch den der Leute, die sich keinen Zutritt in den überfüllten arabischen Pavillon hatten verschaffen können. Er legt die Drumsticks hin und kommt auf mich zu. »He«, ruft er.
    »Du bist toll«, sage ich überwältigt, auch vom Gesöff.
    »Kennst du den Song?«
    »So was Ähnliches.« Diese Antwort kann ich mir einfach nicht verkneifen.
    Er schürzt die Lippen, steckt meine Geistreichelei aber klaglos weg und sagt dann: »Tja, was meinst du? Würdest du so was Ähnliches mit uns spielen? Das ist der Vorschlag, den ich dir machen wollte.«
    »Aber ich spiele doch schon im Patriarca.«
    »Das nennst du Spielen? Wenn es wegen dem Zaster ist, dann mach dir mal keine Gedanken: Wir spielen ja auch bei Hochzeiten, und zwar genau aus diesem Grund. Eigentlich machen wir aber Progressive Rock, du weißt schon, was ich meine. Zum Patriarca kannst du trotzdem noch gehen, ich verlange keinen Exklusivvertrag von dir, überhaupt nicht …. Ich brauch nur jemanden an den Tasten, und da kennst du dich ja einigermaßen aus.«
    Das »einigermaßen« schlucke ich nicht so ohne Weiteres, und ich hätte ihm beinahe abgesagt, wenn Rino, der mir das offensichtlich ansieht, nicht gleich nachschieben würde: »Na, komm schon. Mit einem, der so auf Zack ist wie du, kommen wir groß raus! Wir setzen uns auf nationaler, ach, was sag ich, auf internationaler Ebene durch. Ich hab schon so einige Ideen im Hinterkopf.«
    Obwohl ich nicht genau weiß, warum, sage ich zu.
    »Morgen fangen wir mit den Proben an«, sagt er zufrieden.

    »Aber was das Pianola anbelangt … die Farfisa gehört mir nicht.«
    »Ach, die Farfisa«, sagt er angeödet. »Bei mir spielst du eine Hammond. Eine Hammond! Die Farfisa kannst du vergessen.«

17
    Wirklich schön, die Hammond. Damit will ich nicht behaupten, dass sie mir besser gefiele als die Pfeifenorgel aus dem 18. Jahrhundert, aber immerhin. Außerdem haben wir das Raumecho: Man spielt eine Note, und nach ein paar Augenblicken rollt der Klang träge zurück. Dann kommt es mir tatsächlich so vor, als hörte ich die Harmonie der Sphären.
    Wir proben in der alten Mühle, und zwar in der nach Käse stinkenden Eingangshalle mit ihrem Bogengewölbe, den mehlbestäubten Wänden und dem großen Mühlstein. Mit dem Professor hatten wir ein paarmal hier haltgemacht und von außen die Architektur studiert

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