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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Sehnsucht, das mich in jenen kalten Winternächten überfiel, wenn ich eine Folge sah, und daran, dass ich jedes Mal von ihr träumte, auch wenn Tante Ines und Onkel Teodorino schnarchten. Bei der Aussicht, dass das nun so weitergehen würde, strecke ich mich wenigstens in ihrem leeren Bett aus - wohin hätte ich um diese Uhrzeit schon gehen sollen? Die Laken duften nach ihrem würzigen Parfüm. Anstelle von Sprungfedern gibt es ein Holzbrett: Die Merkwürdigkeiten des star system , denke ich und schlafe trotzdem wie ein Stein.
    Am Morgen nehme ich einen Omnibus zum Giulio Cesare. Dort treffe ich meine Freunde im Bulli an. Sie empfangen mich wie einen
Helden, und eigentlich nur, um sie nicht zu enttäuschen, sauge ich mir intime Details über mein sensationelles Abenteuer aus den Fingern. Rino hat den Wagen kaum in Bewegung gesetzt, als auf der anderen Straßenseite Giuditta vorbeigeht, die immer noch an Alain klebt.
    »Sie ist ein Miststück, aber gefickt hat sie gut«, gestehe ich ihr als erfahrener Herzensbrecher zu.
    »Und ob!«, »Sehr richtig«, »Das muss man ihr lassen«, kommentieren alle bis auf den Schweizer.
    Dass ich mir eingebildet hatte, der Einzige gewesen zu sein, lasse ich mir nicht anmerken, während sie andeutungsweise das Kinn zum Gruß hebt, und einen Augenblick später sind wir sowieso schon weit weg.

19
    Meine von Mal zu Mal unglaubwürdigeren Berichte über jene Nacht boten Stoff für die folgenden Wochen. Ich erzählte, und meine Freunde wurden nicht müde, mir zuzuhören. Ich ging sogar so weit zu behaupten, meine berühmte Geliebte wünsche, dass ich nach Abschluss ihrer Tournee zu ihr nach Rom ziehe und dass sie sich meinetwegen scheiden lassen wolle - sie, die überhaupt nicht verheiratet war. Und wenn keiner von ihnen jemals in Zweifel zog, was ich sagte, so lag das nicht an meinem Fabuliertalent: Während sie mit brüchiger Stimme den angeschwollenen Fluss meiner Phantasie mit ihren Fragen begleiteten, verrieten mir ihre begeisterten Gesichter, dass sie einfach nur das Bedürfnis zu träumen hatten. Von einer Schauspielerin zu träumen, noch dazu von einer, die im Fernsehen auftritt - ganz schön abgeschmackt, oder? Aber gibt es etwas Verführerischeres als Schönheit, kombiniert mit Berühmtheit? War Venus denn nicht nur wunderschön, sondern auch, wie unser Serienstar, eine »Diva«, eine Göttin? Und hatte Paris sie nicht etwa der Macht, dem Genius und dem Ruhm vorgezogen? Und inwiefern sollten wir - arme Burschen vom Lande - uns anders fühlen als der Hirt aus Troja? Obwohl es heißt, dass lügen zur Lehrzeit jedes Schriftstellers gehört und ich Schriftsteller werden wollte, war ich dennoch der Erste, der dieses Geflunker nicht mehr aushielt, und das Merkwürdigste war, dass Rino und die anderen es auch vergaßen, schlagartig und mitsamt meinen bindenden Zusagen, für die sie von mir niemals Rechenschaft verlangten. Wenn man es recht bedenkt, verhielten sie sich wie jemand, der aus einem Traum
erwacht. Wir kehrten zu unseren üblichen Beschäftigungen zurück und schmiedeten Pläne für die Ferien.
    Einem Brauch entsprechend, der sich in jenen Jahren bis in den Süden verbreitet hatte, zogen nun auch bei uns Schüler und Studenten im Sommer ins Ausland - vorzugsweise in die Schweiz oder nach Deutschland -, um, wie man so schön sagt, »Erfahrungen zu sammeln« oder um als Tellerwäscher in Restaurants oder Hotels der miesesten Kategorie zu arbeiten und goldene Reserven für den Winter anzulegen oder um eine angemessene Zahl von Nordländerinnen zu bumsen und außerdem Sprachen zu lernen: in der Regel Deutsch, vor allem aber genügend Englisch, das uns trotz mangelhafter Beherrschung das Gefühl vermittelte, Weltbürger zu sein. In jenem Jahr hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, ebenfalls zu verreisen, um »Erfahrungen zu sammeln«, und ich hatte sogar bei der Großmutter schon das Terrain erkundet und festgestellt, dass sie wieder einmal mehr als entgegenkommend war. Allerdings wartete in jenem Sommer eine Erfahrung ganz anderer Art auf mich.

    Alles hatte, ohne dass es mir bewusst gewesen wäre, zwei Monate zuvor begonnen. Wir saßen zusammengequetscht in Apaches Fiat 124 und kurvten ziellos durch die Gegend, als wir das unverwechselbare Getöse von Gileras Roller - eine Mischung aus Hubschrauber und Maschinengewehr - vernahmen. Endlich hatte er es geschafft und sich tatsächlich einen gekauft. Wir streckten die Arme aus dem Fenster und fuchtelten herum, während er in seiner

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