Ferne Verwandte
ihr glühendes Fleisch spüren und sagt dann: »Genügen dir denn die Erfahrungen nicht, die du bei mir sammelst?«
»Darum geht es nicht. Es ist nur, dass ich in meinem Alter sehen muss, wie die Welt beschaffen ist.«
Sie rutscht der Länge nach an mir herunter. »Und warum weißt du nicht, wie …« Die letzten Worte sagt sie nicht, weil sie ihn schon im Mund hat und lutscht, mein Gott, und wie sie das macht! Sie ist die Frau, von der jeder Mann träumt. So verabschiede ich mich ohne allzu großes Bedauern von meinen Freunden, die sich an einem makellos strahlenden Julimorgen auf die Reise machen.
Zwei Monate später bin ich nur noch der Schatten meiner selbst. Incoronata mag ja ein Vulkan der Sinnenfreude sein, aber was zu viel ist, ist zu viel. Ich sperre mich zu Hause ein und schütze eine Krankheit vor. An einem regnerischen Nachmittag Ende September höre ich, wie es klopft. Einen Moment denke ich, dass sie es ist, aber obwohl sie sich vor Sehnsucht verzehrt, hätte nicht einmal Inco den Mut, Nonnilde gegenüberzutreten, die nichts von unserer Verlobung weiß oder zumindest so tut, als wüsste sie nichts. Jedenfalls öffne ich die Tür und sehe Rinos Gesicht vor mir.
»Wir sind wieder da«, sagt er. »Aber was ist denn mit dir los?«
»Ich fühle mich nicht wohl«, antworte ich, ohne ihn hereinzulassen.
»Tja, man sieht’s. Sie hat wohl Kleinholz aus dir gemacht, hm? Das hier wird dir auf jeden Fall guttun.« Er öffnet die Faust, und in seiner Hand liegen orangefarbene Kapseln.
»Ellessdee«, sagt er.
»Ellessdee?«, frage ich.
»Orrriginnnal holländisch! Wir nehmen sie heute Abend …«
»Eigentlich, na ja … Wenn Inco mich sieht! Ich hab ihr gesagt, ich hätte Fieber.«
»Dann hat sie dich ja schon voll versklavt. Du weißt nicht, was dir entgeht, und außerdem haben wir dir’ne Menge zu erzählen. Ach, komm schon, stell dich nicht so an.«
Recht hat er, denke ich - eine angenehme Überraschung ist genau das, was ich jetzt brauche.
»In Ordnung, und wo?«
»Bei Apache zu Hause. Seine Eltern sind nach Belluno gefahren, zu ihrem Ältesten, der sich einen Bruch gehoben hat.«
»Aber wohnen bei Apache denn nicht die Carabinieri im Haus?«
»Um diese Uhrzeit haben die Dienst. Die Alternative wäre bei Tarcisio auf dem Land, aber bei dieser Kälte … Sei ganz beruhigt, ich hab’s schon in Amsterdam ausprobiert.«
»Waaas - in Amsterdam bist du auch gewesen?«
»Überall bin ich gewesen. Und weißt du, wen ich getroffen habe? Sonia , jawoll, die Schwester von Fausto CalcianTour! Ich hab sie nicht nur getroffen, sondern auch gevögelt. Stell dir vor, bei all dem Zaster, den die hat, haust sie in einem Schuppen am Fluss! Nicht zu fassen. Dann bleibt es also dabei: um sechs bei Apache.«
Apaches Haus ist eigentlich eine Pension - die Pension Miramonti. In den vier Stockwerken leben seine Familie und eine gewisse Anzahl von Stammgästen, darunter die Dorf-Carabinieri, die sich ein Klo mit der Wohnung teilen, in der wir das Acid zu uns nehmen. Mit von der Partie sind außer mir, dem Hausherrn und Rino noch Tarcisio und der Schweizer, den die Nähe der Polizisten nervös zu machen scheint.
»Müssen wir ausgerechnet hier Drogen nehmen?«
»Immer mit der Ruhe, Schweizer. Gleich wirst du sehen, was für’n Genuss das ist«, sagt Rino, während er die Pillen verteilt.
In der Erwartung, dass sie ihre Wirkung entfalten, erläutert uns Apache stolz die offensichtlich »alternative« Einrichtung seines Zimmers, eine kleine Wohnlandschaft mit Baumstammscheiben,
bunt angemalten Abfalltonnen, einem gipsernen Säulenkapitell, zwei aus der Mülldeponie geretteten Korbsesseln, einem Büchergestell aus Eternit-Lochziegeln und einer grün lackierten 50er-Jahre-Konsole, von der herunter uns die mittelgroßen Fotos von Apaches verstorbenen Großeltern anstarren. Die sehen tatsächlich wie zwei Rothäute aus - vor allem die Großmutter in ihrer herkömmlichen Tracht mit einem Kränzchen über der Stirn.
Eine halbe Stunde später ist der Schweizer dazu übergegangen, sich über Rino lustig zu machen: »Du Schwachkopf, dir ham sie Aspirin angedreht oder’n ganz ordinäres Abführmittel.« Er lacht noch, als wir merken, wie er blass wird. Auf die Porträts von Apaches Indianergroßeltern starrend, sagt er: »Verdammt, die bewegen die Lippen... Die sagen was, schau.« Lachend tritt Tarcisio zu ihm, doch da fängt auch er plötzlich an, vor Angst zu wimmern. Der Schweizer packt ihn, trotz seines Schreckens, an
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