Ferne Verwandte
Streichholzhaare von Giud, die immer noch wie ein Hündchen zu seinen Füßen sitzt. Da fällt mir der Knochen von Onkel Arcangelo ein. Beinahe hätte ich ihr die Frage ins Gesicht geschleudert, was sie damit gemacht hat, die blöde Kuh, doch da geht die Eingangstür auf, und wir sehen einen kleinen hässlichen Typen hereinspazieren. Er ist aufgetakelt wie ein Pirat aus der Karibik, nicht nur mit Kopftüchlein, sondern sogar mit niedrigen weiten Stiefeln und Dreiviertelhosen. Sofort sagt er: »Verdammt, wonach riecht es denn hier?« Mir bricht der kalte Schweiß aus, weil ich an den Schafskäse denke, doch er fragt: »Himalaja-Kraut?«, und kommt freundlich näher und drückt uns sogar die Hand - womit er beweist, dass er trotz seines Outfits die guten Manieren vergangener Zeiten zu schätzen weiß. Schon nach dem ersten Zug - ausgeführt mit muschelförmig zusammengelegten Händen, wie nicht einmal wir auf dem Land es noch machen - sind wir alte Freunde.
»Sandro, was soll denn das Gedudel? Hier braucht es was Handfesteres … José Feliciano: Ja, das ist der richtige Sound!«, sagt er.
Einen Augenblick glauben wir, er macht Witze. Doch er sieht uns ernst an.
»Ich schwöre, er ist der Beste unter den lebenden Gitarristen«, und tatsächlich hatten wir - es mag am Joint gelegen haben - noch nie etwas Ähnliches gehört. Es ist der Livemitschnitt eines Konzerts, und während wir uns das anhören, führt Tito, Sandros Piratenbruder, so etwas wie einen traumtänzerischen Flamenco auf.
Am Anfang dachte ich, er will uns verarschen, weil Feliciano doch der Interpret des unvergesslichen Che sarà war, doch dieser kleine Kerl ist der lebende Beweis dafür, dass es möglich ist, sich einen Dreck um den äußeren Schein zu scheren und trotzdem glücklich zu sein. Wenn man ihn ansah, hätte man nie in ihm den Besitzer des hochklassigen Apartments vermutet, das uns beherbergte; man hätte vielmehr geglaubt, dass er ebenfalls gerade erst mit dem VW-Bus aus dem Süden hier eingetroffen sei. Deshalb nehme ich es ihm nicht krumm, als er, nachdem er uns über unser Leben ausgefragt hat, sanft erklärt: »Dann seid ihr also die ›wahren‹ Vettern vom Lande … Und ihr bestellt es gut, hm?«
»Ehrlich gesagt, haben wir das nur geerntet: Gepflanzt hat es ein Freund von mir, und es ist ein ganzer Wald daraus geworden«, antworte ich.
»Super!«, ruft Tito.
»Ach, übrigens, wie viel verlangt ihr pro hundert Gramm?«, fragt Alain ganz unvermittelt, während er Giud mit seinem unsympathischsten Gesichtsausdruck weiterstreichelt.
»Wir verkaufen es kiloweise«, sage ich.
Tito schüttelt sich vor Lachen. »Super! Kiloweise!«
»Na schön, und das Kilo für wie viel?«, grinst Alain.
Ich gebe Apache ein Zeichen, der prompt seinen Brotbeutel auf das Tischchen knallt, und sage dann: »Das hier ist ein Geschenk für euch … für dich, Giud.« Das ist die Abkürzung für Judas, denke ich dabei.
Sie sehen uns verblüfft an, Giud inbegriffen. Tito gerät fast in Ekstase. »Verdammt! Oh, selbstverständlich seid ihr meine Gäste: Heute Abend hauen wir auf den Putz, und ich zeige euch Landeiern mal Rome by night .« Er ist doch ein sympathischer Typ, dieser Tito. Alain jedoch steht auf, nachdem er sich seinen Anteil genommen hat. »Also, wir gehen dann«, verkündet er und zieht den weiblichen Judas hinter sich her, der uns kaum eines Grußes würdigt.
»Was wollt ihr, so sind sie nun mal«, rechtfertigt der Pirat dieses Verhalten.
»Giuditta schien ganz anders zu sein.«
»Das Problem ist, dass sie sich mit diesem Eisschrank zusammengetan hat. Egal, entspannt euch erst mal. Ich organisiere inzwischen den Abend.«
Apache und Tarcisio bleiben den ganzen Nachmittag vor dem Fernseher hocken. Ich gönne mir ein Bad in einer Megamarmorwanne. Rino und der Schweizer schlafen sich auf den Sofas aus. Tito verschwindet eine Zeit lang, und als er zurückkommt, sagt er: »Super, diese Vettern vom Lande!«, und haut sich aufs Ohr, bis es Nacht ist, und wir losziehen.
Das Lokal ist ein makrobiotisches Restaurant. Viele Leute stehen drinnen herum, weil dort eine Ausstellung gezeigt wird. Auf die Bilder sind Schuhe in derselben grellen Farbe geklebt, mit der die Leinwand bedeckt ist - moderne Kunst eben. Wir bemerken sie sofort inmitten der Leute, auch wenn wir Gleichgültigkeit vorschützen, um nicht wie die üblichen Provinzler dazustehen. Sie hat immer noch dasselbe Unschuldsgesicht wie damals, als sie im Fernsehen auftrat. In ihrem Maxirock
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