Ferne Verwandte
mit dem Blümchenmuster sieht sie nicht viel anders aus als die Bäuerin, in die sich Millionen von Italienern verliebt haben. Auch sie bemerkt uns: Wahrscheinlich, weil auch wir uns mit unseren Frisuren nicht allzu sehr von den Bauern im Fernsehfilm unterscheiden. Es ist unglaublich, aber ein paar Minuten später habe ich sie neben mir. Das Erste, was ich sehe, ist ihre große Nase, aber mein Gott, wie gut sie ihr steht! Wir haben beide ein eigenes Glas Cidre, und sie fragt mich, ob ich Italiener sei.
»Hm, ja«, stottere ich, und das Blut pulsiert mir in den Ohren. Ich bin heilfroh, dass ich von der Megawanne Gebrauch gemacht habe.
»Woher?«, und nachdem ich es ihr gesagt habe, ruft sie: »Was für magische Orte!«, und zitiert De Martino und Christus kam nur bis Eboli . Das muss eine fixe Idee der Städterinnen sein.
»Stimmt, die Luft dort ist stark mit Mana aufgeladen«, schiebe ich nach, um den Effekt zu steigern.
Verunsichert blicken ihre großen haselnussbraunen Augen mich an.
»Mit kosmischer Energie, meine ich.«
»Ach so«, sagt sie bewundernd - Volltreffer!
»Es hat den Anschein, als hätten die Tempelritter den Heiligen Gral dort versteckt«, setze ich noch einen drauf, und daraufhin will sie, dass ich ihr alles erzähle, und ich erzähle es ihr, während sie gar nicht mehr aufhört, mich mit ihrem berühmten verschämten Blick anzusehen. In der Zwischenzeit haben wir uns auf eine Bank gesetzt, und da nicht viel Platz ist, sitzen wir eng beieinander. Sie ist so großartig, so gefesselt von meinen Geschichten - ich spule haarklein mein ganzes Repertoire einschließlich der Harmonie der Sphären ab, bin mir aber nicht sicher, ob ich ihr die »wahre« Herkunft der Verlobten verraten soll: Vielleicht hat sie, sage ich mir, die Nase schon gestrichen voll, auch wenn sie den Eindruck erweckt, dass sie sich nichts entgehen lassen will, aber leider erwartet sie einen Anruf. »Warum kommst du nicht auf einen Sprung zu mir rauf?«, fragt sie. »Dann kommen wir wieder her. Ich wohne gleich um die Ecke.«
Ich gebe Rino und den anderen ein Zeichen und gehe an ihren ungläubigen Gesichtern vorbei, immer hinter ihr her: Ja, wir sehen wirklich so aus wie eines jener Paare, die in den Illustrierten landen - und das täte mir gar nicht leid, wenn ich an Giuditta, dieses Miststück, denke. Da würde sie uns mal sehen: Ich - jung, rebellisch, zudem aus einer geheimnisvollen Gegend, die kosmisches Mana ausstrahlt. Sie - berühmt, aber angeekelt von der hohlen Welt des Showbusiness, wie die Klamotten, die sie trägt, eindeutig beweisen. Sie wohnt in einer kleinen Mansarde voller tibetischer Skulpturen und Thangkas , wo sie nun indische Musik auflegt, und um nicht aus der Rolle zu fallen, drehe ich mir einen Joint. Ich reiche ihn ihr, aber sie schüttelt den Kopf. »Davon bekomme ich Herzrasen«, gesteht sie. Ehrlich gesagt, mir geht es genauso, und außerdem wird alles zu intensiv und zu aufgeladen mit unverständlichen Bedeutungen. Trotzdem zünde ich ihn an. Wir sitzen auf dem schmalen
Sofa, an dem vermutlich auch die Beine abgesägt wurden, und ich soll ihr noch etwas über den magischen Süden erzählen, aber ich weiß nicht recht … Irgendwie ist der Zauber verflogen. Sie drückt die Schultern gegen die Armlehne und sieht mich schweigend an: Ich komme ihr wohl exotisch vor mit dem Akzent, in den ich verfalle. Dann blicke auch ich sie schweigend an, und sie erscheint mir bildschön, und wie die Lage nun einmal ist, hätte ich beinahe … Aber jetzt schrillt das Telefon. Sie steht auf, wobei sie mir mit der Seide ihres flatternden Rocks übers Gesicht streicht, und sagt: »Einen Augenblick.«
Ihre Stimme aus dem anderen Zimmer zu hören, ist, als hätte man den Fernseher eingeschaltet: Doch sie ist leibhaftig anwesend, und es ist so wunderbar, hier zu sitzen und auf sie zu warten, darauf zu warten, dass sie nach »einem Augenblick« den Hörer auflegen und sich wieder neben mich setzen wird. Unterdessen hat sie den Ton zu einem undeutlichen Flüstern gedämpft, und während der Warterei nicke ich ein, entweder weil ich nach der Reise einfach müde bin oder weil das Gras mich umhaut - immerhin habe ich mir allein einen ganzen Joint reingezogen.
Als ich aufwache, ist es vier Uhr. Ich suche vergebens die Wohnung nach ihr ab und betrachte die Fotos überall; sie zeigen sie, wie sie einen Preis entgegennimmt, auf einer Party, in jener berühmten Fernsehserie, und ich erinnere mich an das Gefühl quälender
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