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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Für mich ist Amerika … ein Traum, ja, das ist es.«
    »Wie originell«, bemerkt er, und sein Sarkasmus kränkt mich so sehr, dass ich am liebsten sagen würde, ich hätte ihn um nichts gebeten, ich könnte auch bleiben, wo ich geboren bin - natürlich mit einem Kloß im Hals -, aber da lächelt Charles schon wieder und sagt: »Sei ganz ruhig. Dein Traum wird in Erfüllung gehen. Das verspreche ich dir«, und redet, ich kann es kaum fassen, als würde es morgen bereits losgehen. Er fragt mich, ob ich einen Pass hätte, ob mit meinem Militärdienst alles geregelt sei - man hat mich als armes Waisenkind freigestellt -, und sogar, was für eine Tätigkeit mir gefallen würde.
    »Jede«, erwidere ich aufgeregt.
    »Oh! Das ist aber keine Antwort, die eines Träumers würdig ist«, spottet er.
    Dann brauche ich mir also keinen Zwang anzutun. »Eigentlich fühle ich mich zum Schriftsteller berufen.«
    »Dafür müsstest du Jude sein, kein Italiener, und schau … Wenn es mir gelingt, Onkel Richard zu überzeugen …«
    »Wieso? Ist das so schwierig?«, frage ich ängstlich.
    »Du brauchst dich nicht darum zu kümmern, lass das nur meine Sorge sein. Trotzdem, Onkel Richard erwartet sich von dir etwas anderes: Du musst ihn verstehen, den armen Mann. Ich bin sein einziger Erbe und befasse mich mit mittelalterlicher Mystik! Jetzt schicke ich ihm aus Italien den Sohn von Enrico, dem einzigen Di Lontrone, der außer ihm einen Sinn fürs Geschäft hatte, und dann möchte dieser Typ ausgerechnet Schriftsteller werden... Nein, nein« - er schüttelt mit geheuchelter Enttäuschung den Kopf - »das geht wirklich nicht.«

    »Schon gut, schon gut«, setze ich erneut an, so versöhnlich wie möglich. »Ich stürze mich also ins Geschäft, und die Schriftstellerei betreibe ich als Hobby, statt Fußball zu spielen.«
    »Großvater Richard hasst Fußball.«
    »Tja, ich eigentlich auch, ich hab’s nur so dahingesagt … Wie wär’s mit Polo? Oder Golf? Egal - Hauptsache, ich habe Nonnilde vom Hals.«
    »Ich warne dich: Richard ist noch schrecklicher.«
    »Unmöglich.«
    Er lacht aus voller Kehle und sagt: »Ich habe dich jedenfalls gewarnt. Außerdem kannst du schon mal deine Sachen zusammenpacken.«
    Menschenskinder, dann ist es also geschafft, denke ich und will meinen großherzigen Vetter schon umarmen, da hält er mich am Handgelenk fest, blickt auf die Uhr an dem seinen und sagt: » Okay , okay , Carlino« - so hat er mich noch nie genannt, aber es gefällt mir! -, steht dann auf und fügt hinzu: »Jetzt muss ich zurück. Eine Gruppe illustrer Gelehrter wartet ungeduldig auf meinen Vortrag.«
    Dieses Mal ziehe ich mit Jenny los, ohne auch nur den Beginn seines Vortrags abzuwarten. »Das haben wir schon gehört«, stöhnt sie mit derselben finsteren Miene wie am Tag zuvor. Ich möchte meinen Wohltäter nicht vergrätzen, aber er ist dort im Foyer und verabschiedet uns ganz fidel. Sobald wir im Auto sitzen, erzähle ich Jennifer von meiner nahen Zukunft in Amerika. Manchmal würde man sich ein Minimum an Interesse wünschen, doch als ich fertig bin, hat sie kein einziges Wort herausgebracht. Man könnte glauben, dass sie böse auf mich ist - vielleicht habe ich etwas gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was; vielleicht behagt ihr die Neuigkeit auch einfach nicht -, aber ich bin dermaßen froh, dass mir das egal ist. Ich kann mein kleines Glück auch für mich allein genießen. So suche ich Schlagermusik im Radio und trete vergnügt aufs Gaspedal, während die Luft immer frischer wird.

    Wir hatten inzwischen nämlich eine beträchtliche Höhe erreicht. Die letzten Kurven führten auf einen Viadukt zu, der über einem veritablen Abgrund schwebte. Mir drehte sich schon der Kopf - meine Schwindelgefühle. Wie würde ich es nur im Flugzeug aushalten? Ich klammerte mich an das Lenkrad, bemüht, den Blick immer schön auf das Asphaltband zu heften, aber es war dermaßen schmal, dass es sich unter dem Gewicht des Autos zu bewegen schien, und als ich wieder festen Boden unter den Rädern zu haben glaubte, zitterten meine Knie weiter: Der Anblick um uns herum vermittelte nicht unbedingt das Gefühl von großer Stabilität - wir fuhren zwischen Häusern hindurch, die bei irgendeinem Erdbeben eingestürzt waren. Der dunkelhaarige Junge im weißen Hemd, der auf der kleinen, menschenleeren Piazza im Souvenirkiosk saß, schien einen ganz anderen Stoß zu verspüren, als er den Blick von seiner Zeitung

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