Ferne Verwandte
Ewigen Stadt zu Füßen, eingetaucht in die erlesene Atmosphäre des Lokals, benebelt vom Geschmack der Speisen und ein paar Flaschen Champagner der Marke Krug - Spaghetti alla carbonara, ein Frikassee und ein Chianti in einer x-beliebigen Trattoria hätten aber wahrscheinlich denselben Effekt erzielt angesichts der Tatsache, dass Apache seit Monaten keine komplette Mahlzeit mehr zu sich genommen hatte -, erfuhr Apache von der tausendjährigen Tradition der Opiumraucher in Burma, dem Land, in dem sich der Schweizer mit Ware eindeckte. Und als Letzterer ihm großherzig vorschlug, sein Kompagnon zu werden, stellte Apache folgende Überlegung an: Wenn sich der Mensch in Burma seit Jahrtausenden mit Opium zudröhnte - und er und seine Brüder predigten ja gerade die Wiederbelebung jahrtausendealter Traditionen -, was konnte dann schlecht sein an Heroin, das ja ein Derivat des Opiums ist? Jeder Großstadtindianer hätte das einsehen müssen, und außerdem gingen ihm, um endlich Farbe zu bekennen, diese Großstadtindianer sowieso schon auf den Keks. Als er das Angebot annahm, wurde ihm zudem bewusst, dass er auf diese Weise endlich die Möglichkeit gefunden hatte, sich noch ein wenig in der Welt umzusehen.
Kaum eine Woche später waren sie schon unterwegs, und obwohl sie sich auf den bequemen, ausziehbaren Sitzen der upper class einer Boeing 747 der Thai Airways ausgestreckt hatten, eingelullt von gedämpfter Musik und zeremoniös bedient von exotischen Stewardessen, hatte Apache rasch das Gefühl, sich wieder in dem alten Bus zu befinden, der ihn jeden Morgen vom Dorf zur Schule
gebracht hatte. Tatsächlich fing der vom Courvoisier stockbesoffene Schweizer plötzlich mit Erinnerungen an jene fernen Zeiten an. Ja, er war sich vollkommen bewusst, dass wir ihn immer auf den Arm genommen hatten, insbesondere konnte er das eine Mal nicht vergessen, als wir ihn wegen der Ray-Ban beim Konzert der New Trolls aufgezogen hatten - »Wenn du es genau wissen willst, trage ich sie, um euch blöden Versagern eine moralische Ohrfeige zu verpassen« -, und doch heulte er bald wie ein Schlosshund und gestand Apache nach ungefähr zehn Minuten: »Aber ich kann diese schönen Zeiten wirklich nicht vergessen, zu schön, hi-i-i … Manchmal nehme ich in der Nacht den Ferrari und fahr hinunter ins Dorf, hi-i-i … Mit dem Ferrari brauche ich nicht mal’ne Stunde, hi-i-i … Ich dreh’ne Runde und fahr zurück, hi-i-i … zu schön, hi-i-i, hi-i-i.«
Dann ist also wirklich er es gewesen, den ich gesehen hatte! Als ich von meinem Freund die Sache mit dem Ferrari gehört hatte, war bereits ein leiser Verdacht in mir aufgestiegen, aber das konnte doch wohl kaum wahr sein: Toblerone, der größte Hasser des Dorfes, auf nächtlicher Pilgerfahrt, und doch … In jener Nacht hatte ich nicht einschlafen können, war im Haus herumgewandert und hatte über mein Leben nachgedacht, als ich plötzlich draußen ein Lied hörte. Ich kannte es nur zu gut, dieses Lied: Immigrant Song , der schönste Song von Led Zeppelin. Ich trat ans Fenster und sah diesen im Dunkeln glänzenden Flitzer, der über den steilen Abschnitt zum Kloster hinaufrollte, vibrierend wie ein Raumschiff auf einer Abschussrampe - und dabei hatte Emmental Led Zeppelin doch immer so gehasst.
Weniger als zehn Stunden Flug hatten dem Schweizer genügt, um seinem Heimweh so sehr Luft zu machen, dass es dem Ex-Großstadtindianer nur unter Mühen gelang, ihn in seinem Zimmer im Siam in Bangkok abzuladen. Fast noch im Morgengrauen wurde er jedoch von einem Anruf des Schweizers geweckt: In
dieser Hinsicht war der sich treu geblieben. Obwohl er steinreich war, fühlte er sich immer noch ausgegrenzt - er gehörte zu jenen Menschen, die einsam geboren werden und einsam sterben, egal, wie ihr Leben verläuft. Natürlich knallte Apache den Hörer hin.
Am Morgen begaben sie sich dann an Bord eines Touristenfliegers, überquerten Thailand und landeten später, böse schwankend, im Schutz einer Ansammlung von Hütten auf einer Piste, die vom satten Grün des burmesischen Urwalds in mehrere Teile zerlegt war. Als sie ausstiegen, liefen die Dorfkinder dem Schweizer jauchzend entgegen. Apache brauchte ein bisschen, um zu kapieren, dass sie Holy Swiss Pusher leierten, und genau wie ein Heiliger - ein komischer moderner Heiliger - bedachte der Schweizer sie aus vollen Händen mit Streicheleinheiten und Dollars und nahm sie der Reihe nach gerührt in die Arme. Mit Tanang, dem alten Dorfhäuptling, war die
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