Ferne Verwandte
Versprechen, das er mir vor nunmehr drei Jahren gegeben hatte.
Wenige Wochen vergingen, und ich verlor sämtliche Kilos, die ich zugenommen hatte. Ich aß nicht, ich schlief nicht, ich musste eine Entscheidung treffen, und zwar die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Auch wenn ich mir immer wieder sagte, dass mein Vetter gewiss nicht der Typ war, der ein gegebenes Wort nicht halten würde, hatte ich doch nur eine Hochzeitseinladung erhalten. Pikant an der Sache war, dass eine Teilnahme an seiner Hochzeit das Platzen meiner eigenen bedeuten würde. Und konnte ich wegen eines lange zurückliegenden und vielleicht vergessenen Versprechens das opfern, was ich inzwischen als meine »sichere Zukunft« zu betrachten pflegte?
Ich dachte über diese sichere Zukunft nach. Ich dachte an die Arbeit bei der Firma Olii Superfini unter Nonnilde, an die Nächte auf Alba Chiara und sagte mir, ja, ich könnte. Doch am Tag meiner Abreise, als ich die Geburt Jesu aus ihrem Rahmen genommen
hatte - sie sollte mein Geschenk für Charles sein -, die frische Luft einsog und zur Piazza hinunterlief, wurde mir bewusst, dass es außer der Ungewissheit, was mich in Amerika erwartete, noch etwas anderes gab, was mir in die Seele schnitt: Ich war im Begriff, am Vorabend meiner Hochzeit zu verschwinden, und würde mit Sicherheit nie mehr den Fuß ins Dorf setzen können. Nonnilde würde mir niemals verzeihen. Beim Belvedere betrachtete ich zum letzten Mal diesen Horizont, das Regen verkündende Blau der Berge, das silberne Licht der Olivenbäume im Tal. Ich hörte Silvias Stimme: »Es ist so schön hier … Aber du bist zu klein, um das zu verstehen.« Jetzt war ich groß und weinte die bitteren Tränen des Emigranten, während ich mich auf den Weg zum Bus der Schüler machte.
Viele kannte ich. Es waren dieselben, mit denen ich bis vor ein paar Jahren jeden Tag gefahren war, aber ich hatte keine Lust, mit jemandem zu reden, und hielt mich abseits, um die Jüngsten zu betrachten. Auf ihren Gesichtern, in ihrer Kleidung, in der Art, wie sie sich bewegten und sprachen, suchte ich nach Spuren von dem, was Rino, Apache, Tarcisio und der arme Holy Swiss gewesen waren - vergeblich, weil sich die Generationen mit eigenartiger Geschwindigkeit verändern oder weil wir uns, einfacher gesagt, immer und in jedem Fall einmalig vorkommen. Sie wiederum warfen mir Blicke aus jener Mischung von Neugierde und Respekt zu, die man in diesem Alter den Größeren konzediert. Wenige Stunden, und sie würden wochenlang, vielleicht monatelang, nur noch von mir reden, wie von einem unvergleichlichen Helden. Jeder würde in die Bargespräche eine Einzelheit von diesem Morgen, dem Morgen meiner glorreichen Flucht, einflechten, bis ich mit der Zeit nur noch eine vage Erinnerung sein würde. War es nicht das, was ich mir immer gewünscht hatte? Als es nun endlich so weit war, war ich mir da allerdings nicht mehr so sicher.
Am Abend zuvor hatte ich Onkel Teodorino und Tante Ines, die wie üblich in ihren Raumschiffsesseln vor sich hin geschnarcht hatten, einen Kuss gegeben. Bei der Großmutter hatte ich mich darauf
beschränkt, sie von der Tür ihres Arbeitszimmers aus zu beäugen: Regungslos auf ihrem kleinen Thron sitzend, den Blick auf einen Punkt jenseits des dunklen Fensters gerichtet, war sie mir zufrieden erschienen. Sie hatte bekommen, was sie wollte, und um ihr Ziel zu erreichen, hatte sie nicht gezögert, meine Existenz mit Füßen zu treten. Trotzdem hasste ich sie nicht mehr. Genau wie der letzte heroische Verteidiger von Fort Alamo - ich stellte mir Nonnilde im Schwarzweiß des betreffenden Films vor, bis zu den Zähnen bewaffnet, ihre zierliche Statur unter der zerfetzten Fahne - hatte sie nichts anderes getan, als sich gegen das Schicksal zu stemmen, von dem die Di Lontrones seit Jahrzehnten verfolgt wurden. Wenn ich nun wegging, würde ich mit einem einzigen Schlag all ihre Mühen zunichte machen. Das große Haus, das von dem Gelächter meiner zwanzig Cousinen, den Stimmen meiner Onkel und Tanten, meiner Mutter, meines Vaters und der unzähligen Di Lontrones, die uns vorangegangen waren, widergehallt hatte, würde bald für immer verstummen.
In jener Nacht hatte ich nicht geschlafen, und die Fortsetzung meiner Reise im Zug nach Rom, in einem Waggon voller Rauch und Passagiere, welche die ganze Strecke damit beschäftigt waren, sich den Bauch vollzuschlagen - Parmesankäse, Koteletts und Hühnchen nach Jägerart, wobei sie von Letzteren gewissenhaft jedes
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