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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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kleinste Knöchelchen abnagten -, aus Riesenflaschen Wein zu trinken und mich aufzufordern, mich, wie man so sagt, zu »bedienen«, diese Reise verdüsterte meine Gemütsverfassung weiter. Was hatte ich hier nur verloren? Wohin war ich unterwegs?, fragte ich mich untröstlich.
    Ich verspürte ein starkes Bedürfnis, allein zu sein, und leistete mir nach meiner Ankunft in Rom ein Taxi. Das kostete ein hübsches Sümmchen, aber es diente dazu, meine Stimmung zu heben, sodass ich mich zwischen den strahlend hellen Flächen des Flughafens Leonardo da Vinci, dem Vielerlei der menschlichen Rassen und den im Dunst des Nachmittags flimmernden Umrissen der Flugzeuge - ich hatte noch nie welche aus solcher Nähe gesehen -
als vollwertiger Bürger jener quicklebendigen Welt, als freier Mann und endlich auch als Herr meines Schicksals fühlte. Aber meine Eltern waren immerhin in so einem Ding umgekommen, außerdem litt ich unter Schwindelgefühlen, und so stieg ich nicht ohne eine gewisse Beklemmung in die »Maschinen« - im Süden der gängige Begriff für Flugzeuge, der in die unter uns Freunden verwendete Sprache jedoch erst mit der Führerscheinprüfung des Schweizers eingegangen war, nachdem er nämlich auf die Frage nach den Verkehrsmitteln, die auf der Autobahn verboten seien, nach reiflicher Überlegung mit »Maschinen« geantwortet hatte. Trotz seiner jüngst erfolgten Verwandlung in den Avatara eines burmesischen Buddhas konnte ich mir, wenn ich an ihn dachte, nie das Lachen verkneifen, und bei dem Gedanken an ihn hatte ich nun den falschen Eingang erwischt und musste, um zur ersten Klasse zu gelangen, durch die ganze Maschine gehen.
    Ich verbrachte unendlich viel Zeit damit, hinter bescheideneren Reisegefährten Schlange zu stehen, und hatte Zeit, sie der Reihe nach zu studieren und ihre Kleidung und Gerüche zu katalogisieren. Sie verstauten derweil unter literweise Schweiß erzeugender Anstrengung enorme Schachteln - von den Fettflecken her zu urteilen, waren sie, in völliger Missachtung des allseits bekannten amerikanischen Einfuhrverbots für Speisen, mit Lebensmitteln gefüllt: geblümte Riesentaschen, Koffer aus Kunstleder, wenn nicht gar Karton, manche sogar mit Bindfaden zugeschnürt. Derartiges hatte man selbst in unseren Überlandbussen seit Jahren nicht mehr gesehen, und ich hätte alles andere erwartet, als im modernsten Linienflugzeug, das in das modernste und reichste Land der Welt fliegen würde, solche Unglückswürmer anzutreffen. Sie unterschieden sich in nichts von den Auswanderern, die mein Großvater Carlo zu den »Frachtern« begleitet hatte, und zwischen ihnen eingekeilt kam auch ich mir vor wie ein armer Teufel, der wegging, um das tägliche Brot anderswo zu erbetteln - dabei hinterließ ich einen gut laufenden Betrieb, der binnen weniger Jahre mein eigener gewesen wäre. Wenn ich in diesem Moment nicht umkehrte, dann wirklich nur,
weil ich von der drängelnden und zu allem Übel noch stinkenden Menschenmenge daran gehindert wurde.
    Zum Glück gelang es mir irgendwann, meinen Sitzplatz zu erreichen. Abgesehen davon, dass es da nicht stank, herrschte überhaupt eine andere Luft dort - nichts als klimatisierte Luft, aber zwischen den weit auseinanderstehenden Sesseln der first class kam ich erstmals in den Genuss ihrer beruhigenden Leichtigkeit. Auch das Licht war anders - es gab blaue Vorhänge anstelle der Plastikrollos -, und erstklassig war auch das Lächeln, mit dem die Stewardess mich empfing - die beste der ganzen Crew. Und als ich mich ein paar Minuten nach dem Start vorsichtig dem Fenster zuwandte und sah, dass das Meer und die zerfurchte Küste sich in eine Landkarte verwandelt hatten, und feststellte, dass mir nicht schwindlig war - meine Spaziergänge auf den Dächern waren also nicht umsonst gewesen -, wurde ich plötzlich wieder zum Heimatlosen, der nach Abenteuern hungerte, aber nicht nur nach Abenteuern.
    Ich hatte praktisch seit Wochen nichts gegessen, und als man mir das Mittagessen servierte, schlang ich sogar die Dekorationen mit hinunter - ich hätte sie wahrscheinlich sowieso verschlungen, einfach aus Unkenntnis.
    »Jesses Maria, die lassen einen ja glatt verhungern. Ich verlang’nen Nachschlag, und du, für dich auch noch was?«, fragt mich mein Nebenmann.
    Seit Beginn der Reise versucht er, mit mir ins Gespräch zu kommen. Er spricht im langsamen, schleppenden Tonfall der Salernitaner und mag so um die dreißig sein. Ein ausgesprochen feister Typ mit einem dunklen

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