Ferne Verwandte
Stimmung nicht weniger herzlich: Der Holy Swiss Pusher hatte kaum an einem der Nylonsäcke mit dem Heroin geschnuppert, schon klappte er vor Tanangs Augen das mit Greenbacks vollgestopfte Köfferchen auf. Der Alte fing an, die Scheine zu zählen, aber irgendwann hörte er auf und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: Es waren viel mehr als die vereinbarten. Kurzum, nach einer halben Stunde konnte das Geschäft als abgeschlossen gelten, und es ging nur noch darum, die Etikette zu wahren. Tanang legte Wert darauf, sie als seine Gäste dazubehalten, und ihm zu widersprechen wäre nicht angezeigt gewesen.
Es war ein schönes Festchen, mit Musik und rituellen Tänzen, die den Neid eines jeden Großstadtindianers erregt hätten, und am Ende zog sich Apache in seine eigene Hütte zurück, wo er nicht nur zwei anmutige Mädchen vögelte, die ihm liebenswürdigerweise vom alten Häuptling zur Verfügung gestellt worden waren, sondern auch die Chance bekam, die jahrtausendealte burmesische Tradition, sich mit Opium zuzudröhnen, persönlich wertzuschätzen. Der Lärm des landenden, dann wieder startenden Flugzeugs unterschied sich nicht von einer jener Halluzinationen, von denen sein Geist heimgesucht wurde. Auch als er am Tag danach den
Schweizer wiedersah, glaubte er an eine Halluzination, denn der starrte ihn aus einem Glasgehäuse heraus an.
Der Schamane hatte die ganze Nacht fleißig gearbeitet und ihn einbalsamiert. Es war ihm sogar gelungen, das Loch, das ihm das Projektil durch die Stirn gebohrt hatte, als eine Art mystisches drittes Auge zu tarnen. Im Lotossitz, halbnackt und mit einem rätselhaften Lächeln auf den wächsernen Lippen, war Emmental jetzt einer der zigtausend Buddhas von Burma geworden - im Vergleich zu dem fetten Inder allerdings ein junger und magerer -, und der ganze Stamm psalmodierte in einem unheimlichen hypnotischen Mantra seinen Namen: Hooo-ly Swiss Pu-shér, Hooo-ly Swiss Pu-shér . Apache war, wie ihm Tanang unter Tränen erklärte, nur davongekommen, weil Bad Black, der geschworene Feind des Holy Swiss, der in der Nacht mit seinem Flugzeug eingefallen war und ihm den Garaus gemacht hatte, seine, Apaches, Anwesenheit nicht bemerkt hatte.
»Holy Swiss Pusher ist tot, verstehst du … Unser lieber, unvergesslicher Holy Swiss Pusher wird nicht wiederkehren … Nie mehr werden wir ihn wiedersehen«, waren die letzten Worte meines armen Freundes. Dann neigte er den Kopf nach vorn wie ein erschöpfter Spatz nach einem langen Flug und fiel wieder in seinen komatösen Zustand.
Sie ist wirklich seltsam, die menschliche Natur: Der große Schmerz, den ich bei der Nachricht vom Tod des Holy Swiss Pusher, wie er sich zuletzt nannte, empfand, deprimierte mich weniger, als dass er mir half, meine Situation plötzlich aus einer anderen Perspektive zu sehen. Im Leben, so sagte ich mir, kann einem immer noch etwas Schlimmeres zustoßen. Ich hatte schlicht resigniert. Mehr als resigniert. Ein paar Tage später überredete ich Apache, der immer noch verschlafen, aber auf dem Weg der Besserung war, mich nach Neapel zu einem Schneider zu begleiten. Für meine Hochzeit brauchte ich eine Sonderanfertigung, und da ich schon einmal dabei war, bestellte ich für ihn, der mein Trauzeuge sein sollte,
gleich einen Anzug mit. Es war das erste Mal, dass ich es mir leisten konnte, unbekümmert Geld auszugeben. Die Großmutter überwies mir mittlerweile auf Anweisung meines künftigen Schwiegervaters ein reguläres Gehalt, was einen weiteren Trost für mich darstellte.
Eines Morgens jedoch, als ich mich gerade auf den Weg zur Arbeit mache, stoße ich vor der Tür auf Godzilla, den Postboten, der mir ein Einschreiben aushändigt. Darin enthalten sind ein Flugticket erster Klasse, ein Brief und eine Einladung zu einer Hochzeit, genauer gesagt: zur Hochzeit von Charles und Jennifer.
Sie heirateten am gleichen Tag, an dem auch ich heiraten sollte.
24
Mein Vetter Charles hatte sich also wieder gemeldet, und ich konnte es noch nicht glauben. Aber das Glück, das ich empfand, währte nur so lange, bis ich meine Unterschrift unter Godzillas Quittung gesetzt hatte - nicht ohne einen gewissen Widerwillen wegen der Pusteln, die ihm seinen Spitznamen eingetragen hatten -, in mein Zimmer gelaufen war und die wenigen Zeilen meines fernen Verwandten gelesen hatte. Nein, Charles wusste nichts von mir und Jennifer, aber das war schon die einzige Gewissheit. Im Übrigen fand sich im Brief nicht die leiseste Andeutung auf das
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