Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
Vom Netzwerk:
gefliesten Raum des Lokus widerhallte und nach draußen drang, in den Saal hinein. Und an Immas Ohren. Als ich sie ein paar Minuten später unter der Treppe vögelte, fragte sie mich, warum ich gelacht hätte. Ich konnte ihr keine Antwort geben, weil ich mich schlicht nicht erinnerte - und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, wie ich zwischen ihren nervösen Schenkeln gelandet war.
    Am nächsten Morgen wachte ich spät auf - Nonnilde hatte mich dieses Mal in Ruhe gelassen. Ich war fahl im Gesicht, hatte Kopfweh, und die Leber stach. Es ging mir wirklich beschissen. Immer noch im Festtagsanzug trat ich ins Freie - ich hatte nicht einmal mehr die Kraft gehabt, mich auszuziehen - und lieferte eine sehr üble Interpretation der Verlobtenrolle, zumal ich, kaum in der Bar, Imma um eine Auswahl der Lieblingsspirituosen der örtlichen Bevölkerung bat. Mit vollem Recht zählte ich mich inzwischen dazu.
    Ich bin bei Stock 84 angelangt, als vor der Fensterscheibe ein Taxi anhält, mit Apache an Bord. Natürlich laufe ich sofort hinaus, um ihn zu begrüßen, doch als ich ihn in die Arme schließe, habe ich das Gefühl, eine Schneiderpuppe zu umarmen. Auch sein Blick ist so, ebenso seine Stimme, wenn Puppen eine hätten. Seit Jahren habe ich ihn nun schon nicht mehr gesehen, und das Erste, was er sagt, ist: »Bezahl das Taxi, ich geb’s dir nachher zurück«, und das bleibt dann auch das Einzige: Kaum habe ich dem Taxifahrer schlappe hunderttausend Lire ausgehändigt - er ist von Rom mit dem Taxi hergekommen, dieser Blödmann -, sehe ich ihn bereits in der Ferne, wie er sich nach Hause schleppt. Ich denke, er wird müde sein, freue mich aber schon auf unsere nächste Begegnung. Was gibt es in bestimmten Augenblicken Besseres, als einen Freund aus vergangenen Zeiten wiederzufinden? Außerdem muss er mir den Zaster zurückerstatten - der enge Kontakt mit Nonnilde hat mich unwiderruflich gezeichnet.

    Als ich ihn am Abend besuchen gehe, schläft er noch, und wieder sage ich mir, er wird müde sein. Ich kehre am nächsten Abend zurück und am übernächsten, und er schläft immer noch, und schließlich begreife ich, dass etwas Merkwürdiges passiert ist, und prompt zieht mich seine Mutter weinend ins Vertrauen.
    »Wenn er aufwacht, dann nur, um zu essen … einmal am Tag, aber er ist stumm und starrt vor sich hin, wie eine Holzpuppe. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Versucht Ihr es« - ich bin inzwischen der Signor Di Lontrone - »versucht Ihr doch bitte, mit ihm zu reden.«
    Und ich versuche es. Ich betrete sein Zimmer, schließe die Tür, rüttle ihn am Arm, an der Schulter, nichts. Dann packe ich ihn am Hals, stoße ihn gegen das Kopfteil seines Betts, und er seufzt tief, schlägt die Augen auf und sagt mit einem dünnen Stimmchen: »Ciao, Carlino.« Ich bin schon fast gerührt, als ich ihn das sagen höre, und antworte: »Ciao, Apache … Aber was ist denn mit dir los?« Und er erzählt es mir.
    Alles hatte im Winter davor auf dem Campo de’ Fiori angefangen, wo sich die Großstadtindianer - das, was von ihnen noch übrig war - wie gewöhnlich ihren mühseligen Aktivitäten widmeten, als da waren: Joints drehen, Flöten, Gitarren und kleinen Bongos grauenhafte Klänge entlocken, sich an den Flammen kümmerlicher Feuerchen aufwärmen, traurige Pantomimen aufführen, Geld sammeln, mit vergrämten Squaws, deren Tierkreiszeichen man zuvor erraten hatte, herumknutschen, über Reisen zur Wiege der Welt nachgrübeln, Bier oder minderwertigen Whiskey aus der Flasche trinken, ohne diese mit dem Mund zu berühren, um den Inhalt dann vor den Augen der Touristen auszukotzen. An einem Abend jedoch hielt sich Apache merkwürdig abseits. Nachdenklich beobachtete er die konzentrischen Kreise in einer Pfütze, die er mit seiner Spucke in Bewegung gesetzt hatte. Aufgrund seiner Betätigung als Großstadtindianer hatte er im Laufe von vier Jahren kaum vier Prüfungen abgelegt - Gruppenexamina mit vorher ausgehandelter Note - und lebte daher schon seit einiger Zeit ohne Regierungszuschuss
und die entsprechende Unterkunft im Studentenheim. Seine Mutter, die bereits gegen seinen Entschluss, sich an der Universität zu immatrikulieren, Einwände erhoben hatte - »Wozu brauchst du denn’n Doktor, wo wir doch’n Hotel haben?« -, lehnte seine mitleidheischenden Bitten um Geld ab. Er aber hatte es satt, zwischen den Tipis seiner Blutsbrüder herumzuwandern, im Schlafsack zu übernachten, in vor Scheiße verkrustete Klos zu kacken, sich

Weitere Kostenlose Bücher