Ferne Verwandte
dauert’ne Ewigkeit, bis du wieder draußen bist. Und das geht doch nicht. Wenn du nach Amerika kommst, merkst du den Unterschied: schnell und effizient«, deklamiert er mit stolzgeschwellter Brust und hebt das Glas. »So iss Amerika, das Land der großen Tschanzen«, und das auch aus seinem Munde zu hören ermutigt mich mit Blick auf meine unsichere Zukunft. Als er mich jedoch nach dem Grund meiner Reise fragt, halte ich mich, keine Ahnung, warum, bedeckt. Ich antworte, dass mein Vetter heiratet und mich eingeladen hat.
»Aha«, sagt er und wiegt ausladend den Kopf hin und her. »Verstehe … Wenn du trotzdem’nen Rat willst, sieh zu, dass dein Vetter dich in New York unterbringt. Um’nen jungen Mann wie dich isses schade, wenn er in Italien bleibt. Hier iss für alle Fälle mal meine Nummer«, und er zieht aus seiner prallen Brieftasche ein weiteres Visitenkärtchen hervor. Den Rest der Flugreise verbringe ich damit, Frank Cargallo zuzuhören - so lautet, wie ich gelesen habe, sein Name -, und obwohl ich in einem fort gähne, findet er mich sympathisch. Er erzählt mir von seiner Familie, hauptsächlich von seiner Mutter und seiner Schwester: due donne eccezzional .
»Meine Mamma ist Witwe geworden, kaum dass sie in New York war, hat aber nicht noch mal heiraten wollen. Hat ihr Leben uns Kindern gewidmet. Arme Mamma, sie hat gewollt, dass ich studiere, aber das iss nix für mich. Ich hab mich gleich aufs bisinìss verlegt, und verdammt, ich hab Erfolg gehabt, auch dank dem heiligen Antonius. Jetzt bin ich die Nummer eins da, wo ich arbeite, und meine Mamma iss überglücklich. Meine Schwester Gemma, nein, die nicht … Die iss, wie sagt ihr gleich wieder?’ne intellettuaala . Hat in Harvard’n Dokter gemacht, verstehst du. Kunst, das isses, was sie mag. Sie malt. Schau, was ich in Italien für sie gekauft hab.« Er springt auf, öffnet das Gepäckfach, und als er sich wieder setzt, hat er eine lange Pappröhre in der Hand. Einen Moment lang denke ich, es ist meine mit dem Tenebristen drin. Stattdessen zieht er diese Bilder von Christus mit dem dreidimensionalen Herzen heraus, dann die Jungfrau Maria und den heiligen Antonius von Padua mit
den Engelchen, die um ihn herumfliegen, und andere Heilige, die ich nicht kenne. »Schön, was? Aber das iss noch gar nix. Gemma tut Licht drauf und deckt Farbe drüber. Sie kann was, ich muss sie dir unbedingt vorstellen. Und dann lad ich dich ein zu’nem Teller Spaghetti, wie meine Mamma sie macht, so was kriegst du nicht mal in Napule. Komm mich doch besuchen, ich würd mich freun.« Irgendwann - ich muss eingedöst sein, denn abgesehen von allem anderen, leiert er so furchtbar - höre ich, wie es aus ihm herausplatzt: »Heiliger Antonius, hilf mir!«, und die Triebwerke plötzlich aufheulen. O Gott, schon wieder, denke ich noch beim ersten Zucken. Aber wir sind bloß im Landeanflug.
Frank wedelt mit seinem amerikanischen Pass und verabschiedet sich strahlend, während ich in der Schlange hinter dem Bauernvolk aus der Economy Class stehe und zusehe, wie sie aus den fettigen Pappschachteln Lebensmittelvorräte herausholen, die für eine ganze Armee reichen würden, erst recht aber für den kleinen Trupp von Zollbeamten, die uns, nachdem sie sich ihre wöchentliche Ration Italian food gesichert haben, in Massen ausschwärmen lassen. Endlich befinde ich mich also in der riesigen Halle des JFK, und sofort sehe ich in der Menge das Schild mit meinem Namen drauf. Es beeindruckt mich schon irgendwie, ihn zu lesen, und vorneweg die beiden magischen Buchstaben M und R ; noch mehr beeindruckt mich aber der mit wahren Schnurgehängen geschmückte Chauffeur, der es in der Hand hält. In der Limousine gibt es dann sogar einen Fernseher, und während wir rasch über die Straßenüberführungen dahingleiten und das ferne Glitzern der Wolkenkratzer meine Brust mit Freude erfüllt, denke ich an meine Freunde - an das, was noch von ihnen übrig ist -, an die Gesichter, die sie machen würden, wenn sie mich jetzt hier drinnen als großen Herrn sähen, und in einer Anwandlung von Großmut schwöre ich mir, dass ich sie so bald wie möglich an meine Seite rufen und ihnen wichtige Aufgaben übertragen werde. Gewiss, Tarcisio müsste aufhören, den Kommunisten zu spielen, aber würde er das in diesem gottgesegneten Land nicht sowieso tun?
25
Kaum hatte ich den großen Saal betreten, sah ich sie. Jennifer. Eine Aura von Licht - Schönheit, Gefahr, Pomp, Privilegien - ging von ihr aus und
Weitere Kostenlose Bücher