Ferne Verwandte
hindurch, deren Fahrer scharf bremsen mussten und hupten, was aber, während ich an ihnen vorbeizog, wie ferne Fanfaren zu meinem Ruhm klang.
Die Gegend, in der wir landeten und die ich alleine niemals gefunden hätte, schien nicht mehr New York zu sein - vielleicht war sie es auch nicht. Ich konzentrierte mich so sehr auf die Verfolgungsjagd, dass ich aufgehört hatte, die Straßenschilder zu lesen. Hin und wieder sah man den Hudson und Wiesen und schließlich zwischen riesigen Bäumen die Fassaden großer weißer Villen aufblitzen. Plötzlich bog Cybill scharf nach rechts ab, und ich befürchtete schon, sie verloren zu haben, als ich mich auf einer stillen
kleinen Straße, die von hohen Hecken gesäumt war, wiederfand. In einer Lücke in der Hecke schloss sich soeben ein automatisches Tor. Ich bremste abrupt ab, und bevor es endgültig zuging, sah ich gerade noch den Corniche hinter der Biegung einer Allee verschwinden. Ich stieg aus. Natürlich stand kein Name an der Einfahrt. Es gab überhaupt kein Schild dort, nur das Auge einer Videokamera, das bedrohlich auf mich gerichtet war. Ich fuhr die Straße weiter, die sich bis zu einem kleinen Aussichtsplatz hochschlängelte. Es war fast Nacht, und in diesem Augenblick gingen die Lichter an und fielen aus dem Dunkelgrün der Bäume auf die weiße Front von einer Art griechischem Tempel. Ich fragte mich, ob es sich vielleicht um das Haus handelte, auf das Cybill zugefahren war, als ich plötzlich Lonely Angel durch die Luft wehen hörte, einen der Erfolgssongs von J. Stewart Sheffield, und er kam mir, während er mir das Herz bluten ließ, nicht einmal mehr so scheußlich vor, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Im Sommer darauf sollte ich es wieder hören, dieses Lied.
In der Zwischenzeit passierte allerhand. Cybill heiratete Sheffield im frühen Frühjahr und füllte tagelang die Klatschspalten, die ich begierig las. Jedes Mal war ich nicht nur von seinen abgewetzten Smokings angewidert, sondern auch von den abgeschmackten Erklärungen, mit denen er - einer der Barden der Gegenkultur - sich vor seinen Fans für die Heirat mit der Tochter des Pomadenkönigs und eines der größten Plutokraten der Welt zu rechtfertigen suchte, wo er doch nichts anderes hätte tun sollen, als dem Himmel dafür zu danken, dass er einen solchen Engel für ihn bestimmt hatte.
Cybill dagegen gelang es, ihre Eleganz sogar im Brautkleid zu bewahren - die ärgste Prüfung für jede Frau. Ich hatte die Fotos gesammelt und den Gatten herausgeschnippelt - eine besondere Lust hatte ich dabei verspürt, ihn in kleinen Scheiterhaufen einzuäschern -, und wurde nicht müde, sie mir immer wieder anzusehen. Ich träumte verstörende Träume und fixierte ihren gedankenverlorenen Blick; ich wand mich in Krämpfen des Verlangens,
wenn ich die Rundung ihrer Hüften betrachtete, ihre athletischen Beine, den kleinen Busen - ihr Schwachpunkt vielleicht -, und was für einen strammen Hintern sie hatte, den Hintern einer Volleyballmeisterin, wie es im Artikel hieß. Vor allem ein Foto hatte es mir angetan, eine heimlich geschossene Aufnahme mit ihr im Hintergrund: der Träger des langen, rückenfreien Kleides war ihr auf den Arm gerutscht, auf ihrem Rücken reflektierten sich die Schatten einer Arabeske - ein Vorhang oder eine Gittertür -, die Haare waren zusammengebunden und der Kopf andächtig vor einem gewissen Whiteagle Spencer geneigt, ihrem nicht sichtbaren spirituellen Meister, der als Nomade zwischen abgeschiedenen Dörfern in Kanada lebte und jeglichen Kontakt mit der Technik, Telekameras inbegriffen, ablehnte. Ich trug das Foto in meinem Diplomatenköfferchen selbst ins Büro mit, und sobald ich einen freien Moment hatte, sah ich es mir immer wieder an.
Das kam nicht oft vor - dass ich einen freien Moment hatte, meine ich. In der Tat hatte Onkel Richard, nachdem sich die Produkte der Yamakoshi auf dem Markt durchgesetzt und die Sushi-Bars ihren noch gewaltigeren Siegeszug angetreten hatten - eine Mode, die andauern sollte -, beschlossen, mich dadurch zu belohnen, dass er mich in den Verwaltungsrat der Firma berief, und dieses Mal war ich es, mit dem sich Fernsehsender und Presse angesichts der Bedeutung des Amtes, das ich in meinem jugendlichen Alter bekleiden sollte, mit großem Brimborium beschäftigten. Die Zeitungen erschienen mit Fotos von mir, das Gesicht mürrisch, meine maßgeschneiderten Anzüge und die weißen Hemden mit den weiten Kragen tadellos, die Schlagzeilen knallig: »Onkel
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