Ferne Verwandte
hängen schienen. Ein Stückchen Mond schwebte über dem dunklen Unterholz, das Wasser glitzerte wie Splitter, über die ganze Schwärme kleiner silberner Fische hinwegsprangen, und plötzlich durchströmte mich ein tiefes Glücksgefühl, denn es gibt kaum einen schöneren Anblick
als den von Fischen, die in einer Frühsommernacht zum Klang einer Melodie aus dem Wasser schnellen. Ich schenkte mir noch etwas zu trinken ein, aber als ich wieder auf den Wasserspiegel blickte, bemerkte ich, dass jemand die Oberfläche des Sees in kleine leuchtende Wellen kräuselte. Ich beugte mich im Liegestuhl vor und folgte den Armbewegungen, die näher kamen und sich perfekt dem Rhythmus des Liedes anpassten, das auf dem Klavier gespielt wurde. Ich erkannte sie sofort, als sie glitzernd herauskam: Venus, die den Wassern entsteigt, hätte nicht schöner sein können - um das erstbeste Bild zu verwenden, das mir in den Sinn kommt. Sie dagegen erkannte mich nicht, und während sie die wenigen Meter, die uns voneinander trennten, über den Strand lief, rief sie unter Tränen: »Ich bitte Sie, bringen Sie mich weg von hier. Ich heiße Cybill Collins und habe einen Verrückten geheiratet.«
29
Ich wachte früh am Morgen auf. Bei allem, was geschehen war, hatte ich vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Ich hatte viel Wichtigeres vergessen, als wir uns auf der Fahrt nach Hause im Fond der Limousine gewälzt hatten, und auch danach, als wir den Wagen gegen die Bequemlichkeit des Bettes ausgetauscht und Cybill mir zugeflüstert hatte: »Fick mich wie eine sizilianische Witwe« - was sie damit wohl meinte? -, hatte ich ganz andere Dinge im Kopf gehabt. Aber jetzt, da ich ihren vom ersten Sonnenlicht liebkosten Körper betrachtete, beschlichen mich Zweifel - dies war das Gesicht eines reichen Mädchens, das gewohnt war, sich zu nehmen, was es wollte. Wusste sie eigentlich, während ich sie wie »eine sizilianische Witwe« gefickt hatte - sie ans Kopfteil des Bettes gefesselt, ich kniend, schien mir ihrer Aufforderung am nächsten zu kommen -, wer ich war, oder wäre ihr jeder recht gewesen? Der Gedanke, dass die Frau, die ich mir fürs Leben erkoren hatte, tatsächlich so sein könnte, wie Charles sie geschildert hatte, war mir unerträglich. Daher vergrub ich eine Hand in ihren Haaren - sie mussten mal gewaschen werden, ansonsten waren sie perfekt - und murmelte, dass ich sie vom ersten Augenblick an geliebt hätte, und sie antworten zu hören: »Ich dich auch, Carlino «, wie Charles mich am Abend seiner Hochzeit genannt hatte, genügte, um jeglichen Zweifel zu zerstreuen.
Ein paar Stunden später schlug ich die Augen wieder auf und war allein im Zimmer, aber aus der Küche war Geklapper zu hören, und dann sah ich sie eintreten: blond, nur mit meinem Hemd
am Leib und ein Frühstückstablett in den Händen - eine klassische Szene aus einem amerikanischen Film. Und gibt es etwas Wunderbareres, als dass sich unser Leben plötzlich in einen amerikanischen Film verwandelt? Cybill war jedoch in keiner Hinsicht klassisch. »Iss das und fick mich«, befahl sie - ihre gewissermaßen offenherzige Sprache war das Einzige, was sie mit ihrer Schwester gemeinsam hatte. Nachdem ich beiden Forderungen nachgekommen war, zog sie sich ins Bad zurück, während ich verzückt im Bett liegen blieb.
Cybill war es genauso ergangen wie mir. Nach unserer ersten Begegnung hatte sie tagelang gehofft, dass ich anrufen würde - sie hatte es auch tun wollen, aber was wusste sie schon von mir? Hätte ich mich nicht über sie lustig gemacht? Und dann gab es ja auch Stewart: Damals hatte sie noch nicht begriffen, um was für einen Dreckskerl es sich handelte. Während sie mir das alles erzählte, erschien es mir dermaßen unglaublich, dass ich dachte, jetzt würde sie mich auf den Arm nehmen, aber die Tatsache, dass sie sich - obwohl sie, wie ich feststellte, überhaupt nichts von meinem Erfolg wusste - meinen Namen gemerkt hatte und sich noch dazu erinnerte, worüber wir uns unterhalten hatten, bewies mir ihre Aufrichtigkeit. Im Übrigen war Cybill so arglos und unschuldig, dass sie zu keiner Boshaftigkeit imstande war.
Wenn ich sie mir so ansah, schien sie zum Glücklichsein wie geschaffen, doch als ich ihre Geschichte hörte, blutete mir das Herz. In ihrer Kindheit hatten sie beide Eltern immer gegenüber Jenny zurückgesetzt. Derlei kommt vor, aber das Bedürfnis, sie, Cybill, in einem fort zu demütigen, hatte ans Krankhafte gegrenzt, und das hatte sie, mehr als ihr
Weitere Kostenlose Bücher