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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Ich hatte nie ein Hologramm gesehen und war derart beeindruckt, dass ich es, als man uns den Tisch zuwies, immer noch anstarrte. Onkel Richard dagegen schnaubte und sagte: »Jedes Mal verlangt der Romita irgendeine Buße von mir, aber dieses Mal hat er übertrieben.« Den Maître, der ihm am Ende der Bestellung mitgeteilt hatte, dass sie keine französischen Weine servierten, fuhr er an: »Dann bringt mir eben den besten, den ihr habt.«.
    Schon als sie ihn kosten ließen, merkte ich, dass irgendetwas vor sich ging. Mit einer merkwürdig ausladenden Geste signalisierte er dem Sommelier seine Zustimmung und wollte, dass man die Flasche auf dem Tisch ließ, damit er sie näher in Augenschein nehmen konnte. Sassicaia, las er von dem etwas zu eleganten Etikett ab. Er nippte an dem Wein, während wir auf die Speisen warteten.
Die Wartezeit war durchaus angemessen - weder zu kurz, wie in den Lokalen, in denen man Vorgekochtes untergejubelt bekommt, noch zu lang, wie in den Restaurants, die zwar anspruchsvoll sind, aber nicht effizient geführt werden. Es war das erste Mal seit meiner Ankunft in Amerika, dass ich italienische Küche aß, und als ich mit besonderem Vergnügen diese unvergleichlichen Gerichte kostete, wurde mir klar, dass es überhaupt das erste Mal war, denn dieses hier war die große italienische Küche. Tiefer als gewöhnlich beugte Onkel Richard den Kopf über den Teller. Unterdessen füllte er sein und mein Glas wieder auf und sagte: »Der Romita muss wirklich ein Erleuchteter sein: Bis jetzt hat man in New York nichts als fade Pasta gegessen«, um dann während der gesamten Zeit zu schweigen, in der uns in rascher Reihenfolge die unterschiedlichsten und erlesensten Speisen aufgetragen wurden. Nach jedem Gang hob er den Blick und wartete in einer Art stummen Ekstase auf den nächsten. Beduselt starrte ich auf das Hologramm des Seefahrers, und es war, als befände ich mich einer lieben, vertrauten Gestalt gegenüber. Wohl wegen meiner unvergesslichen Stunden bei meinem Meister Sabino Corelli oder aufgrund irgendeiner gewiss eher psychologischen als physischen Ähnlichkeit kam es mir vor, als würde ich in ihr das Abbild meines Vaters erkennen. Wie der heroische Forschungsreisende hatte auch Papà die Neue Welt herausgefordert und erobert, und wie Ersterer hatte auch er sich, dank eines widrigen Schicksals, damit nichts anderes eingehandelt als den eigenen Ruin. So war ich froh, als Onkel Richard wieder meine Aufmerksamkeit erheischte, und hoffte, dass er mich aus meinen melancholischen Phantasien reißen würde. Doch er fragte mich: »Und deine Großmutter, wie hat sie es aufgenommen? Dass du gekommen bist, um bei mir zu bleiben, meine ich.«
    »Ich weiß nicht, ich bin ja praktisch davongelaufen. Aber vorstellen kann ich es mir schon.«
    »Sie ist furchtbar, diese Frau. Hasst sie mich immer noch?«
    Ich zog die Augenbrauen hoch. Er schüttelte den Kopf und stürzte den Wein in einem Zug hinunter. »Sie hat nicht ganz unrecht«,
urteilte er, gab ein Zeichen, damit man ihm nachschenkte, und ergänzte: » Siehst du, Carlino, das Schicksal von jedem von uns steht schon bei seiner Geburt geschrieben. Es gibt jemanden, der sich darum kümmert … ein Engel oder vielleicht ein Dämon .«
    Mir blieb die Spucke weg. Nicht nur, dass er mich Carlino genannt hatte. Er sprach sogar Italienisch mit mir, und das war noch nie passiert.
    »Schau mich an: Ich komme quasi als Bettler aus dem Dorf hierher, und nach wenigen Jahren habe ich die Taschen voller Geld, eine schöne Frau, einen Sohn, also alles, was ein Mann sich wünschen kann. Dann stelle ich fest, dass meine schöne Frau Alkoholikerin ist, wie ihr Vater und der Vater ihres Vaters, und auch mein William … Du weißt, was aus ihm geworden ist - oder?« Er seufzte. »Kurzum, sein Leben war nicht gerade großartig, aber wenigstens hat er mir Charles geschenkt. Ich konnte warten, bis er groß war. Ich hätte vielmehr warten können, aber ich brauchte jemanden, der in meiner Nähe war und dem ich beibringen konnte, was ich wusste, und in Italien gab es Enrico, deinen Vater … Als ich ihn zu seiner Hochzeitsreise nach Amerika einlud, war mir sofort klar, aus was für einem Holz er geschnitzt war. Ich sagte mir: Das ist er, jetzt hab ich ihn gefunden. Er war der Sohn, den ich mir immer gewünscht hatte. Deshalb habe ich ihn hierhergeholt.«
    »Aha. Er hatte aber eine Familie … Er hatte mich «, unterbrach ich ihn. Während seiner Erzählung war eine große Wut in

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