Ferne Verwandte
irgendeinen kalorienarmen Käse her.«
»Tofu«, schoss es aus mir heraus.
Er sah mich verwundert an, brüllte dann aber trotzdem: »Ich weiß nicht, kann sein … Irgendetwas sagt mir jedenfalls, dass das Zeug bei diesem ganzen Diätwahn interessant sein könnte.«
Ich ging hinüber, um mir die Unterlagen zu holen, und ja, es handelte sich tatsächlich um Tofu. Von dessen Existenz hatte ich durch ein Haiku von Gary Snyder, einem wenig bekannten, aber mir sehr lieben Beat-Poeten erfahren - ich hatte ja immer schon eine Leidenschaft für die Leute aus der zweiten Reihe gehegt. Eine Randglosse hatte spaßeshalber erläutert, dass es sich um einen Käse aus Soja handle, weiß, leicht und absolut ohne jeden Geschmack. Als ich mich nun daran erinnerte, glaubte ich zunächst, dass er logischerweise auch nicht verkäuflich sei. Aber Konsumenten und Logik gehören nicht unbedingt zusammen, und die Argumentation,
die ich mir nun zurechtlegte, glich jener, die meine erste und bisher einzige Managervision beflügelt hatte: Als Erstes kommt immer die Avantgarde auf den Geschmack. Jahre können vergehen, aber dann kommt auch die Masse darauf. Snyders Gedichte hatte ich in Italien gelesen, und das war schon einige Zeit her. Seit damals hatten die elektronischen Produkte der Japaner die Welt überschwemmt, und es erschien mir einleuchtend, dass bald auch ihre Esskultur kommen würde.
Mit meinem Referat, in dem ich mich für die Vermarktung nicht nur des Tofu, sondern der gesamten Produktpalette der Yamakoshi - Sojasaucen, Miso-Paste, Reis und Azuki-Bohnen - einsetzte, und mit meinem darüber hinausgehenden Vorschlag, im Herzen von Manhattan ein japanisches Modellrestaurant der Luxusklasse zu eröffnen, traf ich bei Onkel Richard auf begeisterte Zustimmung. Ja, dieser große Geschäftsmann, der er, von seiner Schwäche für den Romita mal abgesehen, immer noch war, beschloss sogar, statt nur eines Lokals gleich eine ganze Kette zu eröffnen - eine Entscheidung, die sich kaum ein paar Monate später als goldrichtig erweisen sollte: Den Erfolg der berühmten Sushi-Bars, die in NYC und in der Folge in allen großen Hauptstädten der Welt wie Pilze aus dem Boden schossen, kann ich ohne Furcht, dementiert zu werden, für mich reklamieren. Doch trotz meines brillanten Vortrags und obwohl ich ihn angefleht hatte, davon Abstand zu nehmen, zwang mich der Onkel, ihn am selben Abend wieder ins Caravel zu begleiten.
Er aß, trank und weinte, und erneut bediente er sich der verhassten Muttersprache, während er erzählte, wie gern er seinen Bruder, meinen Großvater Carlo, immer gehabt habe und wie sehr ich ihn an meinen Vater erinnerte und dass ich dasselbe Talent besäße wie er oder ihm vielleicht sogar noch überlegen sei. Trotz der üblen Szene vom Morgen erfreute ich mich aufs Neue der Gnade eines der mächtigsten Männer Amerikas - und das alles nur wegen eines Gedichts. Bald, so sagte ich mir in einer meiner üblichen Anwandlungen von Allmachtsgefühlen, würde ich die ganze Wall
Street in der Hand haben. Am nächsten Tag war ich allerdings sehr darauf bedacht, pünktlich im Büro zu erscheinen, und bereitete mich, nachdem ich den üblichen endlosen Telefonaten meines Arbeitgebers gelauscht hatte, darauf vor, den x-ten Abend mit ihm zu verbringen.
Stattdessen gab mir Onkel Richard an jenem Abend früher als erwartet frei, und ich kurvte mit meinem funkelnagelneuen Mercedes herum, genoss die Strahlen der letzten Septembersonne, die sich in den Fensterscheiben der Wolkenkratzer spiegelten, und bewunderte das Tempo der jungen Frauen, die sich in ihren ersten Herbstkostümen gedankenverloren den Weg durch die Menge bahnten, in dieser Mischung aus Intelligenz, Eleganz und Dynamik, wie sie für New York so typisch ist. Plötzlich sah ich auf der Höhe des Pierre einen Rolls Corniche vor mir herfahren - die Kabrioversion, wohlgemerkt. Natürlich würde jedes Mädchen, das keine ausgesprochene Schreckschraube war, am Steuer einer solch prunkvollen Skulptur Aufsehen erregen - wie sehr musste das dann erst für Cybill gelten! Das Bewusstsein, dass ich sie plötzlich vor mir hatte, diese perfekte Fleisch gewordene Replik der Flying Lady - der geflügelten Statuette dieser Nobelkarossen -, die entschlossener am Steuer saß als eine Amazone, haute mich fast um. Ich trat das Gaspedal durch, und während ich der wie auf einem Luftkissen dahinschwebenden goldenen Fahne ihrer Haare folgte, glitt ich, wunderbarerweise unversehrt, zwischen den Autos
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