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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Richard ruft, Carlo folgt. Mit kaum dreiundzwanzig Jahren wurde der Neffe des großen Tycoons in den Rat der Lontrone Corp berufen.« Oder: »Richard Di Lontrone erklärt: ›Mein Neffe Carlino, ein wirkliches Ass im Ärmel‹«, und während ich in einer der Firmenlimousinen aus New York herausfuhr, dachte ich mit Grauen an das Interview, das ich soeben gegeben hatte, das erste, das mein Onkel abgesegnet hatte: »Achte auf deine Träume, sie könnten wahr werden.« Diesen
Spruch hatte ich einmal in einem TV-Trailer gehört. Durch reinen Zufall hatte ich dann auch den Film dazu gesehen: einen mittelmäßigen, wie die meisten Filme, und dennoch ging mir dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf. Mit kaum mehr als zwanzig Jahren und in völliger Unkenntnis der elementarsten Gesetze des Finanzwesens, wie bald jedem deutlich werden würde, der meine Ausführungen las, hatte ich Manager unter mir, die sich Jahrzehnte hatten krummlegen müssen - Jahrzehnte des Lernens unter Schweiß und Tränen -, ohne auch nur in die Nähe der von mir im Laufe weniger Monate erreichten Ziele gekommen zu sein. Ich war reich, ich war bedeutend, ich kleidete mich großartig und arbeitete an einem der begehrtesten Orte des Globus; ich war genau das geworden, wovon ich - unter anderem - immer geträumt hatte, und doch war ich nichts als eine Null. Meine Karriere, mein Erfolg - ein einziger Bluff. Ohne Onkel Richard hätte man mich nicht einmal als einen der vereidigten Wachleute angestellt - die ich in Befolgung seiner Anweisung keines Grußes mehr würdigte -, und ich lebte in der Angst, dass irgendjemand es bemerkte, und gleichzeitig in der Hoffnung, es möge möglichst bald geschehen. In Wahrheit hatte ich das Gefühl, mit dieser Arbeit, diesem Leben, ja mit dem Leben überhaupt nichts zu tun zu haben. Ein knappes Jahr nach meiner Ankunft wusste ich von New York im Großen und Ganzen so viel, wie ich von meinem zwischen den Bergen verlorenen Kaff wusste, wo ich selbst in den Zeiten, da ich den Beatnik spielte, niemals den Traum aufgegeben hatte, meinem Vater nachzueifern, einen Abendanzug zu besitzen und in der High Society von Party zu Party zu ziehen. Jetzt konnte ich mir so viele Abendanzüge kaufen, wie ich wollte, aber das einzige Fest, an dem ich teilgenommen hatte, war Charles’ Hochzeit gewesen. Selbst er schien mich vergessen zu haben. Er hatte mich ein paarmal im Büro angerufen und mich zu Abendessen eingeladen, die er dann, beansprucht, wie er von seinen Studien war, immer wieder verschoben hatte. Mehr als nur ein paarmal hatte mich, ebenfalls im Büro, Jennifer angerufen. Ich hatte ihr ausrichten lassen, dass ich nicht da sei, dass ich in einer
Besprechung sei, dass ich zurückrufen werde. Tatsache ist, dass ich den ganzen Tag im Büro verbrachte, aber Onkel Richard auch dann, wenn ich es verließ, am Hals hatte. Ich war praktisch sein Gefangener.
    Der Chauffeur hielt das Auto an - und damit auch den Fluss meiner Gedanken. Den Klub auf dem Land hatten die Japaner der Yamakoshi reserviert, um den Erfolg ihrer Produktlinie zu feiern, und da ich sie kannte - nicht nur sie persönlich, sondern ein wenig auch ihre Sitten -, schwante mir nichts Gutes. Tatsächlich erhob ich mich irgendwann, übersättigt von Sushi, Tempura und vor allem Verbeugungen und stummem Gezwinker, von dem ausschließlich mit Männern besetzten Tisch, gab Onkel Richard, der zu meiner Erleichterung neben dem Chef-Shogun saß, ein Zeichen und entfernte mich aus dem Saal. Durch einen mit grünem Teppichboden ausgelegten und mit üppigen Farnen geschmückten Flur lief ich zu einer Bar, in der sich außer dem Barmann niemand befand. Ich setzte mich an die Theke und wartete, bis er mir einen Whiskey einschenkte, aber als ich aus dem Fenster sah, kam ich zu dem Schluss, dass ein Glas zu wenig war. Deshalb ließ ich mir die ganze Flasche geben und ging hinaus auf den kleinen Landesteg, um den See zu betrachten.
    Am Bogen des gegenüberliegenden Ufers leuchteten Lampions wie seltene Perlen zwischen den Schatten der Bäume, und aus der Ferne spielte ein Klavier alte Schlager. Ich blieb, ich weiß nicht, wie lange, dort sitzen und trank, bis mit einem flap die Lichter des Klubs ausgingen. Einen Augenblick herrschte Dunkelheit, dann zog mich ein natürlicheres Licht in seinen Bann: Zum ersten Mal seit Monaten fand ich mich unter dem Nachthimmel wieder, und während ich ihn betrachtete, wunderte ich mich über die Erkenntnis, dass die Sterne wie an verborgenen Fäden an ihm zu

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