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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Ironie nicht, doch das war aus meiner Sicht kein Fehler, ja, ich weidete mich vielmehr an ihrer bezaubernden Naivität, als sie antwortete: »Wir werden es noch mehr sein, wenn auch du dich einer Initiation unterziehst.«
    Um mich zu überzeugen, erzählte sie mir von Whiteagles Leben und dass er infolge eines Flugzeugunglücks Vater und Mutter verloren hatte - »genau wie du« -, mit dem Unterschied, dass auch er an Bord gewesen war. Als einziger Überlebender war er inmitten eines kanadischen Waldes - »Stell dir das mal vor!« - von einer Wölfin gesäugt und dann von einem Algonkin aufgezogen worden - »Denk bloß, derselbe Stamm wie der meiner Vorfahrin Yeopatàc! Ist das nicht ein weiteres Zeichen?« -, aber offenbar nicht von einem einfachen Algonkin, sondern von einem Schamanen, von dem er die Techniken der Ekstase erlernt hatte. Die hatte er dann in Tibet perfektioniert, wo er zehn lange Jahre transzendentale Meditation praktiziert hatte - kurzum, ein Scharlatan, wie er im Buche steht. Wenn sie bei diesem Punkt anlangte, war ich in der Regel schon eingenickt, aber ich verabscheute diesen Whiteagle so sehr, dass ich ihm, selbst wenn er der auf die Erde herabgestiegene Jesus Christus höchstpersönlich wäre - was Cybill tatsächlich glaubte -, unbedingt aus dem Weg gehen würde.

    Sobald sie also den Moment für gekommen hielt, ihm nachzureisen, war ich absolut einverstanden, dass sie allein aufbrach, und bereitete mich darauf vor, die letzten Wochen meines Junggesellendaseins in der entsprechenden Zwanglosigkeit auszukosten. In den wenigen Tagen der Freiheit, die mir noch blieben, würde ich nachholen, was ich bislang versäumt hatte, auch wenn ich nach der ersten Nacht, in der ich, einsam wie immer, durch die Lokale gezogen war, schon die Nase voll hatte. Ich hatte mich nie so deprimiert gefühlt und trauerte - darf ich es gestehen? - meinen Jahren im Dorf bitter nach. Ich hatte sie ertragen und nur für ein trauriges Vorspiel zu einer glänzenden Zukunft gehalten, aber jetzt, da sich meine großen Hoffnungen erfüllt hatten, erschienen sie mir als die einzigen Jahre, in denen ich wirklich gelebt hatte, und ich verzehrte mich vor Heimweh bei dem Gedanken an die Auftritte im Pizza Vera oder die Spritztouren in Apaches ramponiertem Auto - ach ja, Apache … und Rino und Tarcisio: Wer weiß, was aus ihnen geworden ist? Gewaltsam schob ich die Erinnerungen beiseite. Sie gehörten der Vergangenheit an, diesem perfidesten aller Räuber, und ich durfte mich nicht von ihr überfallen lassen - darin hatte Onkel Richard recht. Aber als ich meine Arbeitskollegen der Reihe nach unter die Lupe nahm, da gab es tatsächlich keinen, mit dem ich auch nur ein einziges Mal ausgegangen wäre. Was hätte ich dagegen nicht darum gegeben, einen meiner alten Freunde wiederzusehen! Selbst der arme Schweizer wäre mir recht gewesen, obwohl er vor seinem Tod kriminell geworden war … Ach ja, einen Kriminellen kannte ich auch in New York. Genau besehen war er der einzige Mensch, den ich kannte, und kaum war er mir eingefallen, rief ich Frank Cargallo auch schon an. So würde ich wenigstens etwas zum Lachen haben.
    » Allò «, antwortete die heisere Stimme einer Frau, die ich auf Amerikanisch ansprach, die mich aber sofort unterbrach: »Nix verstehn … parlat taliano .«
    »Okay, ja also …«, sagte ich. »Ich bin ein Freund von Frank, Signora.«

    »Name und Vorname, bitte.«
    Ich erfüllte ihr die Bitte.
    »Tja, und was wollt Ihr von Frank?«
    »Nichts, ich wollte mit ihm sprechen.«
    »Und wenn Ihr nichts wollt, warum ruft Ihr dann an?«
    »Ich habe ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und wollte wissen, wie es ihm geht … ihn zum Abendessen einladen.«
    »Telefonnummer, bitte.«
    Ich erfüllte ihr auch diese Bitte.
    »Wenn er zurückruft, gut, wenn nicht, dann nicht«, und sie legte auf.
    Nach genau einer Viertelstunde hob ich den Hörer wieder ab. Es war Frank. »Was willst du? Sag schon«, herrschte er mich an.
    »Würde es dir passen, heute Abend mit mir auszugehen?«
    »Willst du mir’n weiteres Bisinìss vorschlagen?«, fragte er, schon weniger barsch.
    »Nein, um Gottes willen … Ich hab frei und möchte gern ein bisschen plaudern.«
    »Das Problem iss, dass ich nicht frei hab.«
    Auch noch von diesem Grobian zurückgewiesen zu werden, war nun wirklich das Letzte! Deshalb erwiderte ich in pikiertem Ton: »Entschuldige. Dann also ein andermal.«
    Entweder tat ich ihm leid, oder was weiß ich, jedenfalls sagte

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