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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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gebracht, und Cybill und ich hatten beschlossen zu heiraten. J. Stewart Sheffield, dem es dank der Schlägerei, die ich bei Cargallo in Auftrag gegeben hatte, gelungen war, sich in den engagierten Sänger von einst zurückzuverwandeln, hatte aus demselben Grund sofort in die Scheidung einwilligen müssen. Cybill hatte mich, auch wenn sie mich beruhigt hatte - »Du bist endlich der Mann meines Lebens, und Whiteagle wird das einsehen« -, den rituellen und für die Weissagung notwendigen Algonkingürtel tragen lassen und sich dann zu ihrem spirituellen Meister an jenen Ort begeben, der vor Uneingeweihten - also auch vor meiner Wenigkeit - geheim gehalten wurde. Gleich nach ihrer Abreise lud Charles mich zu einem Dinner zu Ehren seines Stammhalters ein. Ich hatte ihn seit dem Besäufnis bei mir zu Hause nicht mehr gesehen. Ja, wenn man es recht bedenkt, war auch das letzte Jahr vergangen, ohne dass ich jemanden gesehen hatte.
    Obwohl es immer noch mein Wunsch war, hatte ich nicht den Mut gefunden, mich von der Firma meines Onkels, der Di Lontrone Corporation, zu verabschieden. Auch Cybill hatte mich nicht dabei unterstützt. »Es hat schon zu viele Künstler in meinem Leben gegeben«, erklärte sie. Nachdem sie ihre ausschweifende Jugend hinter sich gelassen hatte, brauchte sie jetzt Normalität. Sie wollte einen Ehemann, der morgens zur Arbeit ging und den sie am Abend mit einem köstlichen Abendessen empfangen konnte. »Von
jetzt an will ich statt deiner sizilianischen Witwe dein italienisches Frauchen sein.« Nun ließ ich mir die Sache mit der »sizilianischen Witwe« doch einmal erklären: Es war eine Idee, die sie dem Paten entnommen hatte. »Niemand wird dich daran hindern, einen ebenso tollen Roman zu schreiben, aber bitte nur nach Feierabend.« Tatsächlich verbrachte ich die Tage nach wie vor im Büro, auch wenn Onkel Richard schweren Herzens und vor allem nach Verkündung meiner Verlobung seinem Versprechen treu geblieben war und mir zumindest am Abend freigab. Bei Kerzenlicht schlug ich mir den Bauch voll mit den abwechslungsreichen Speisen, die mir Cybill als gutes »italienisches Frauchen« zubereitete und die langwierige Küchenarbeit erforderten. Hinterher konnte von Schreiben keine Rede mehr sein. Wir sahen ein wenig fern und gingen dann wie zwei brave Kinder in die Heia.
    Cybills Hingabe hatte mich anfangs gerührt, und ich hatte mich wie ein König gefühlt, weil sie mich so fürsorglich bemutterte. Doch in letzter Zeit kam es öfter vor, dass ich nachts aufwachte und zu ersticken vermeinte. Vielleicht aß ich zu viel. Prompt reduzierte sie die Menge und verordnete mir eine Stunde Jogging pro Tag - immer mit ihr zusammen. Es half nichts, im Gegenteil, jetzt bekam ich auch noch Herzklopfen - was es mir wenigstens erlaubte, mit dem Laufen und dem entsprechend frühen Aufstehen Schluss zu machen. Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen, und endlich wurde mir einiges klar. Das durfte doch nicht wahr sein: Ich war in New York, der Hauptstadt der Welt, in jener Stadt, die - wie es im Schlager heißt - niemals schläft, der Stadt, in der alle deine Wünsche in Erfüllung gehen, und Zaster hatte ich auch - wovon im Song keine Rede ist -, und nun sollte ich mich mit diesem langweiligen Leben abfinden? Ja, sicher, Cybill war eine tolle Frau, aber ein Käfig mag noch so golden sein, er ist und bleibt bekanntlich doch ein Gefängnis.
    Untröstlich las ich in den Zeitungen über die Ausstellungen und Konzerte der beliebtesten Künstler, über die schicksten Lokale, in denen sich jene Models, Schriftsteller und Berühmtheiten drängten,
von denen ich wusste, dass Cybill sie persönlich kannte, und ich sehnte mich danach, in die Welt, von der ich in der Tiefe meiner Provinz immer geträumt hatte, aufgenommen zu werden. Und doch blieb sie mir selbst jetzt, da ich am Arm einer ihrer spektakulärsten Persönlichkeiten triumphal Einzug hätte halten können, weiterhin verschlossen. Wie der abstinente Alkoholiker, der nichts inbrünstiger hasst als den Alkohol, empfand Cybill einen tiefen Widerwillen gegen alles, was auch nur vage an die Schickeria erinnerte. Ihre Zeit verbrachte sie in der Küche oder beim Meditieren oder damit, dass sie mir von ihrem Mahatma erzählte. Sie wollte, dass auch ich mich zu ihrem Glauben bekannte. »Nur so werden wir wirklich eins sein«, sagte sie. Dann nahm ich sie in die Arme, blickte ihr in die Augen und fragte: »Warum, sind wir denn noch nicht eins genug?« Sie verstand die

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