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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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erzählt, dass du malst.«
    »Ich mag meine Bilder nicht zu Hause aufbewahren«, sagte sie verärgert, auch wenn sie mich gleich darauf besänftigte: »Ich habe sie im Atelier, da gehen wir nachher hin.« Ich musste ihr zweifellos sympathisch sein. »Jetzt will ich dir die von deinem Cousin William zeigen … Ich habe sie bei einem Trödler aufgestöbert«, fügte sie, dieses Mal auf Amerikanisch, belustigt hinzu und zog sie aus einem Haufen, den sie gegen die Wand gelehnt hatte. Es waren drei: winzige Gegenstände - ein Auto, ein Lampenschirm, eine Tasse -, in schmutzigem Weiß skizziert und über große graue Flächen verstreut.
    Na ja … Verwandtschaft hin oder her, sie sagten mir nicht viel, und das bemerkte sie.
    »Du bist anspruchsvoll«, rüffelte sie mich.
    »Sie sind interessant, aber … Nein, lassen wir das, von Kunst verstehe ich nichts.«
    »Deine Meinung würde ich aber wirklich gern hören … Womit beschäftigst du dich noch gleich?«
    »Ich kaufe und verkaufe Betriebe. Ich arbeite mit meinem Onkel zusammen.«
    »Ach ja, jetzt erinnere ich mich, es stand in der Zeitung … Tja, für Leute wie dich müssen wir Künstler uns abmühen. Wie sagte doch Peggy Guggenheim: Die Kunst geht dahin, wo das Geld ist, und so ist es, das ist der Gang der Dinge … Also, was hältst du von ihnen, ganz ehrlich?«
    »Zu kopflastig, kalt, dumpf. Grau eben. Wenn ich ein Bild anschaue, will ich eine Kraft darin spüren … Aber ich kann es nur noch einmal wiederholen: Das ist eine reine Geschmacksfrage.«
    »Hm, in der ganzen Kunst geht es immer nur um Geschmacksfragen. Stell dir vor, es soll Leute geben, die Pollock lieben«, sagte sie, als wäre das die unverzeihlichste aller Verirrungen.
    Sie fragte mich, ob Pollock auch mir gefiel … Aber ich hatte keine Lust zu antworten, und so ging ich mit der erstbesten Frage, die
mir in den Sinn kam, darüber hinweg. »Und du, seit wann malst du?«
    »Ich habe in Harvard damit angefangen«, sagte sie. »Während meines Studiums, und ich hatte einen guten Start. Schon nach meiner ersten Ausstellung hatte ich einen Galeristen, aber ich war nicht zufrieden. Das, was ich gemacht habe, war unpersönlich, es ähnelte zu sehr all den anderen Sachen, die im Umlauf sind … Standardkunst, Nullachtfünfzehnzeug, grau, wie du sagen würdest.« Nun schenkte sie mir sogar ein Lächeln - ein Raubtierlächeln. »Ich wollte etwas Aufregenderes schaffen, und nachdem ich mich umgesehen hatte, kam mir die Erleuchtung: Du bist Italienerin, Italo-Amerikanerin, genauer gesagt. Statt dich dessen zu schämen, produzierst du eben etwas Italo-Amerikanisches , wie es die Schwarzen mit dem Jazz und die Juden mit ihren Romanen gemacht haben. Inzwischen hatte ich allerdings vergessen, wie die Italo-Amerikaner sind: Ich war schon im Internat, bevor mein Vater starb. So musste ich mich wieder in meinem Humus vergraben und bin nach Hause zurück, zu diesen Cafoni hier«, gestand sie ungnädig. »Es ist schwer gewesen, aber ich habe eine Entdeckung gemacht. Ich habe herausgefunden, dass es eine einzige großartige Sache gibt, die unsere Kultur allen anderen voraushat. Rate mal, was ich meine.«
    Während ich vergebens diese großartige Sache zu erraten suchte, blickte ich in ihre verstörten Augen und kam mir vor wie ein ABC-Schütze vor seiner Lehrerin, oder schlimmer noch: wie ein Angeklagter vor seiner Richterin. Sie wartete ein paar Sekunden, bevor sie mit geringschätziger Miene schnaubte. Dann öffneten sich ihre violett bemalten Lippen zu einem entgegenkommenden Lächeln: »Es ist der Katholizismus, verdammt noch mal! Gibt es denn beispielsweise ein mächtigeres Symbol als das Kreuz? Na ja, das Hakenkreuz vielleicht, aber das Kreuz bleibt das einzig wirklich Italienische, das ein starkes Zeichen setzt. Deshalb habe ich versucht, seine Energie in die Malerei einfließen zu lassen, und jetzt bin ich gespannt, von dir zu erfahren, ob mir das gelungen ist. Komm, ich
zeig dir meine neue Ausstellung. Den Titel hab ich schon: Prayers and Maledictions .«
    Sicher, diese Frau war nicht ganz bei Trost, aber im Grunde lag eine wilde, unanfechtbare Wahrheit in dem, was sie sagte. Ich fühlte mich immer unbehaglicher. Was, wenn die Bilder mir nicht gefielen? Musste ich ihr das sagen, oder war es besser, so zu tun, als ob, und wäre ich dazu überhaupt imstande? Unterdessen gelangten wir zu ihrem Atelier, wo ich mich in einem ganzen Arsenal von Madonnen, Heiligen und Verdammten wiederfand. Sie entsprachen der

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