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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Schwesterchen.«
    Wäre sie sofort gekommen, hätte das auch keinen Unterschied gemacht: Die Spaghetti waren schon, als sie aufgetragen wurden, eine einzige Pampe. Nach Cargallos Schwärmerei über die phantastischen Kochkünste seiner Mutter hätte ich das nicht erwartet.
Und trotz allem, was er mir über seine Künstler-Schwester berichtet hatte, hätte ich auch nicht damit gerechnet, eine solche Erinnye auftauchen zu sehen. Ohne ein Wort des Grußes setzte sie sich zu uns an den Tisch, als wir bereits beim zweiten Gang waren - einem Roastbeef, aus dem dunkles Blut tropfte. Gemma Cargallo war hochgewachsen und imposant, wenngleich unter dem weiten schwarzen Pullover platt wie ein Bügelbrett. Das kantige Gesicht erinnerte an das eines Windhunds, der große Mund war violett angemalt, und ein Gewirr verfilzter Haarsträhnen fiel ihr schwer wie Schlangen auf die Augenbrauen herab. Sie konnte einem wirklich Angst einjagen. Tatsächlich sprach niemand ein Wort, und als Frank nach endlosem Schweigen sagte: »Das ist Carlo Di Lontrone, Gemmina«, fielen mir die Kosenamen ein, deren sich die alten Griechen bedienten, um die Erinnyen zu besänftigen.
    Mit versteinertem Gesicht blickte sie vom Teller auf, wandte es aber ihrer Mutter zu, der sie in einem allzu perfekten Italienisch entgegenschleuderte: »Das ist ja widerliches Zeug … Maledetta , ist es denn die Möglichkeit, dass du nicht einmal einen Teller Pasta kochen kannst?« Als ich schon dachte, sie würde mich beharrlich ignorieren - angesichts des Themas hoffte ich es sogar -, zischte sie: »Di Lontrone? Verwandt mit Richard Di Lontrone?«
    »Das ist mein Onkel«, erwiderte ich.
    »Ich besitze drei Bilder von William, seinem Sohn. Sie gehören, glaube ich, zu den wenigen, die gerettet wurden«, behauptete sie nonchalant. »Er war ein begabter Künstler«, schob sie hinterher.
    »Soweit ich weiß, war er schon zehn Jahre, bevor sie überhaupt erfunden wurde, ein Vertreter der Pop Art«, wagte ich einzuwerfen.
    »Ja, das stimmt irgendwie«, schnaubte sie, aber ein Blitz hatte ihren Blick durchzuckt - wahrscheinlich konnte sie es nicht fassen, dass ein Freund ihres Bruders zu einer solchen Bemerkung imstande war. »Ich zeige sie dir nachher«, gestand sie mir zu, und auf diese Äußerung folgte eine so große allgemeine Erleichterung, dass ihre
Mutter den Mut fand, sie anzuflehen: »Gemmì, dann iss doch bitte das Rosbìff, ich hab’s so blutig gelassen, wie du’s magst.«
    Sie mochte es wirklich und aß. Man könnte auch sagen, dass sie eine gewaltige Menge verschlang. Immer wieder stand ihre Erzeugerin auf und schnitt weitere Scheiben ab, die sie, in Blutlachen schwimmend, vor sie hinstellte, bis Gemma abrupt aufstand und ebenso wortlos, wie sie aufgetaucht war, irgendwo hinten in der Wohnung wieder verschwand.
    »Tschuldigt, sie iss’n bisschen komisch, sie iss als kleines Mädchen verwaist und hat sich davon nie richtig erholt«, erklärte die Cargallo-Mutter.
    Frank stieß einen Seufzer aus und sagte traurig: »Es iss noch zu früh zum Ausgehen. Spielen wir noch’ne Partie Tressette ?«
    Das war jetzt aber wirklich der Gipfel! Nur eine Brücke - und es handelte sich um die Brooklyn Bridge - trennte mich von Manhattan, dem Zentrum der Vergnügungsindustrie schlechthin, und zwar nicht erst seit heute, wenn man bedenkt, dass sich der Name vom algonkinischen Manahatta ableitet, was so viel wie »Ort allgemeiner Trunkenheit« heißt, und da sollte ich, nachdem ich bei einer echten Proletenfamilie zu Abend gegessen hatte, die zu allem Überfluss auch noch mit einer hysterischen Irren gesegnet war, wie ein x-beliebiger Rentner in meinem Dorf Tressette spielen! Zum Glück hatte Frank gerade erst die Karten ausgeteilt, als die Erinnye - Gemma, will ich sagen - wieder auftauchte, mich an einer Hand wegzerrte und ihm einen eisigen Blick zuwarf, damit er - ein harter Bursche von seinem Kaliber - gar nicht erst irgendeinen Einwand wagen würde.
    »Iss schon in Ordnung, Carlé«, stimmte er achselzuckend zu. »Ich warte dann oben auf dich …«
    Wir stiegen eine enge Wendeltreppe hinunter bis zu einer kleinen Tür aus Spanplatten. Der Raum, den wir betraten, war allerdings groß, mit einem schönen hellen Holzboden und riesigen Gemälden an den Wänden. »Sind das deine?«, fragte ich, las aber gleich einen Hauch von Unmut aus ihrem Blick heraus: Vielleicht war ich zu aufdringlich
gewesen, und schob deshalb, bevor sie antworten konnte, nach: »Frank … Er hat mir selbst

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