Fernsehkoeche kuesst man nicht
streifte.
Marc hob zwei Finger in die Luft.
»Genug«, sagte Raphael und schob die Blondine beiseite.
Im Einspieler musste er lässig aus dem Gemüsegarten treten. Auch wenn ihm gerade gar nicht nach Lässigkeit zumute war – seine Därme wanden sich wie eine Schlange – lächelte er in die Kamera. Sein Zahnarzt hatte ihm ein schickes Provisorium verpasst. Er trug ein einfaches, kariertes Hemd und hatte die Ärmel aufgekrempelt. Seine Füße steckten in abgewetzten Boots.
Er ließ die Zwiebeln, die er frisch aus der lockeren Erde gezogen hatte, auf den Tisch fallen. Neben ihm stieg Rauch auf.
»Heute werden wir grillen«, verkündete er und packte verschiedene Fleischsorten aus.
»Lammkeule, Hühnchen, Rippchen – nehmt, was ihr wollt. Das Geheimnis ist die Marinade.« Er zerhackte grob ein paar Kräuter mit Chilischoten und goss Olivenöl darüber. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich steh nicht so auf abgestandenes Zeug. Am besten, ihr greift zu frischen Gewürzen und zermahlt sie selbst.«
Raphael gab Fenchelsamen, Pfefferkörner, Salz und Paprikapulver in einen Mörser und zerkleinerte alles.
»Ihr müsst das richtig einreiben. Aber nicht so grob, macht das liebevoll, als würdet ihr eurer Freundin die Schenkel massieren.« Grinsend rieb er über das Hühnchen.
»Vergesst das Gemüse nicht. Nur weil wir grillen, müssen wir nicht auf was Frisches verzichten. Und es gibt wunderbares Gemüse, das sich dazu eignet.« Er zerbrach einige Blätter Mangold.
» Schneidet dazu ein paar Möhren in Streifen und gebt alles in Alufolie. Und denkt daran, gutes Olivenöl darüber zu träufeln.«
Er schob das Gemüsepaket auf den Grillrost. Spontan schnappte er sich ein übrig gebliebenes Möhrenstück und biss ab. Für wenige Sekunden erstarrten seine Gesichtszüge.
Er kaute.
Dann schluckte er das Provisorium, das sich in diesem Moment verabschiedet hatte, tapfer hinunter.
»Seht euch an, wie geschmeidig die Marinade das Fleisch umgibt«, murmelte er und lenkte den Blick der Kamera von seinem Gesicht weg zu seinen Händen, die in dem rot gefärbten Öl badeten.
»Das ist wie eine sinnliche Umarmung«, sagte er. Seine Stimme klang heiser. Nicht vor Erregung, wie man vermuten könnte, sondern weil sein Darm diesen Moment gewählt hatte, sich selbst ebenso sinnlich zu umarmen. Als die Kamera einen Schwenk zur zarten Rauchsäule des Grills unternahm, gab er dem Regisseur ein Zeichen. Dabei deutete seine Hand eine imaginäre Grenze in Gürtelhöhe an. Seine Lippen formten lautlos die Worte: No Full Shot!
Kapitel 9
»Ist das etwa live?«
»Klar«, sagte Gaby. »Ist doch das Sommer-Grill-Special, das senden sie immer live.«
»Woher weißt du das denn? Ich dachte, du kennst diese Kochshow auch nicht?«
»Ich habe mich eben informiert.«
Gaby hatte recht: Raphael sah wirklich gequält aus. Außerdem fand ich es wunderlich, dass man nie sein Gesicht in Großaufnahme sehen konnte. Ich wollte mich so gerne vergewissern, dass sein Zahnarzt ganze Arbeit geleistet hatte, aber irgendwie schwenkte die Kamera immer direkt zu seinen Händen. Nicht, dass der Anblick von Raphaels eingeölten Fingern kein Genuss gewesen wäre, aber seltsam war es schon.
Raphaels linkes Handgelenk schmückte ein schlichtes Lederarmband. Er hatte schöne, aber raue Hände, stellte ich fest, mit langen Phalangen. Bestimmt könnte man auf einem Röntgenbild ebenso wunderschöne Knochen sehen.
Ein Kahn, der fuhr im Mondenschein im Dreieck um das Erbsenbein , begann ich, im Geiste den Merkspruch für die Handwurzelknochen zu deklamieren. Vieleck groß, Vieleck klein, am Kopf da muss ein Haken sein.
Gaby schnaubte. »Wieso hält er sich eigentlich ständig etwas vor den Mund? Eben hatte er ein ganzes Büschel Mangold im Gesicht. Und guck mal! Will er etwa in die Klinge beißen, oder warum hält er sich das Messer so dicht vor die Nase?«
»Keine Ahnung«, sagte ich wahrheitsgemäß. Aber es stimmte: Sobald der Kameramann in Richtung von Raphaels Gesicht lenkte, verschwand er halb unter seinen Zutaten oder wie im Augenblick hinter einer Lage Alufolie.
»Denkst du, er hat Schmerzen?«, fragte ich Gaby mit Bedauern in der Stimme. Denn es tat mir wirklich leid, dass er sich so quälen musste. Wieso durfte sich ein Fernsehkoch nicht einmal in Ruhe von einer Operation erholen?
»Aber sicher«, sagte sie. »Seine Körpersprache spricht doch Bände! Ich meine, er ist zur Salzsäule mutiert. Gestern habe ich mir die Wiederholung
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