Fernsehkoeche kuesst man nicht
bekleidete. Und überhaupt: Hätte er mich an diesem Abend nicht abgeholt, dann würde ich mich heute vielleicht in Raphaels Federn wälzen, anstatt auf der schmalen Pritsche im Arztzimmer. Ich hätte nicht freiwillig meinen Dienst mit einer Kollegin getauscht, dachte ich missmutig.
»Und er ist so unglaublich komisch«, fuhr Gaby fort. »Mir ist noch nie ein Mann begegnet, der so konsequent einen Gag durchzieht. Stell dir vor, er nennt mich Frau Dr. Rachmaninov! Ist das nicht der Brüller? Ich wette, man kann mit ihm ganz toll erotische Rollenspiele ausprobieren.«
Igitt, das wollte ich mir lieber nicht vorstellen. »Du findest vielleicht noch jemand Besseren als ihn«, sage ich vorsichtig.
»Ich bin verzweifelt«, gab Gaby zu.
»Aber deshalb musst du dich nicht wegwerfen.«
»Du weißt nicht, wie das ist, wenn man als Akademikerin alleine ist.«
»Entschuldige bitte, aber ich bin ebenfalls Ärztin.«
»Aber du bist jung. Und schön. Bei mir ist der Zug längst abgefahren. Ich kann froh sein, wenn noch ein Güterwaggon vorbeizuckelt, auf den ich mich werfen kann.«
»Nichts gegen Güterwaggons«, rief ich dazwischen, »aber du musst dich wirklich nicht mit jeder Ladung zufriedengeben. Warte auf den Delikatessen-Wagen.« Und damit legte ich auf, weil mein Funktelefon klingelte.
Die Ambulanz kündigte mir eine abgetrennte Fingerkuppe an. Vorher musste ich aber noch auf die Intensivstation. Eine junge Frau hatte die glorreiche Idee gehabt, ihren Sekt mit einer vollen Schachtel Diazepam zu würzen. Es war zu spät gewesen, um ihr den Magen auszupumpen. Jetzt spritzte ich ihr Anexate nach, ein Gegenmittel, dessen Wirkung leider schneller nachließ als die des Tranquilizers. Die Patientin war paradoxerweise sehr aggressiv und ruhelos. Ich hatte Glück, dass Heinz, der Intensivpfleger, beherzt zupacken konnte, sonst hätten sich ihre Zähne in meinen Unterarm gegraben.
In der Ambulanz schließlich war alles ruhig. Zumindest auf dem Flur. Als ich den Behandlungsraum betrat, saß dort ein junger Mann mit gequältem Gesichtsausdruck auf dem Rand der Liege.
»Das müssen wir im OP versorgen«, sagte der Chirurg gerade. Ich kannte ihn nur vom Sehen, er trug den Namen irgendeines Nagetieres. Viel mehr interessierte mich allerdings der Patient. Diese Locken hatte ich doch schon einmal gesehen, überlegte ich.
»Wir kennen uns doch«, hakte ich nach.
Er nickte und blies die Backen auf, als der Chirurg ihm ein Schmerzmittel injizierte. »Jonas Limbach. Ich hatte Ihnen das Essen serviert. Im Raphaello. Das, was Ihnen nicht geschmeckt hat.«
Der Chirurg zog die Augenbrauen hoch.
»Ach das«, winkte ich hektisch ab. Aber als mein Kollege sich der Akte des Patienten widmete und ein paar Zeilen schrieb, beugte ich mich zu Jonas hinunter.
»Es hat mir schon geschmeckt, ich war bloß nicht hungrig«, flüsterte ich und fragte dann etwas lauter: »Wie ist das mit Ihrem Finger denn passiert?«
Er vermied es, seine Hand auch nur anzusehen und stöhnte leise. »Ich wollte in der Küche aushelfen, aber das ist nicht mein Ding. Ich bin Student und normalerweise nur als Aushilfe im Service. Tja«, er schnalzte mit der Zunge, »das ist auch das letzte Mal, dass ich einen Pürierstab anpacke.«
Die Fingerkuppe war jedenfalls noch dran, da hatte mich die Schwester falsch informiert. Dafür hatte er einen tiefen Schnitt im Grundglied seines Mittelfingers. Ich unterdrückte ein »Iiiiih!«, weil ich entdecken musste, dass der Knochen aus der Wunde herausguckte. Ein Phalanx proximalis war mir noch nie so persönlich begegnet.
Laut sagte ich: »So, äh, schlimm sieht es gar nicht aus.«
»Sie sollten das Lügen sein lassen. Man kann Ihnen das ansehen«, gab er zurück.
Unwillkürlich fasste ich mir an die Nase.
»Die Ohren«, sagte Jonas. »Sie bekommen rote Ohren und so kleine Flecken am Hals. Die hatten Sie übrigens auch im Restaurant, als Sie das Essen zurückgehen ließen.«
»Das muss am Rotwein gelegen haben.«
»Sie hatten aber nur Wasser«, gab Jonas zurück.
»Führen Sie immer Buch darüber, was andere trinken?«
»Natürlich, das ist doch mein Job.«
Dem konnte ich leider nicht widersprechen. Deshalb stellte ich ihm zur Abwechslung ein paar Fragen, die tatsächlich mit seiner Anamnese zu tun hatten. Dr. Biber (jetzt fiel mir auch der Name wieder ein) legte einen provisorischen Verband an und verabschiedete sich auf später.
»Ist das eigentlich normal, dass ich meinen Finger nicht mehr gerade machen kann?«,
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