Fernsehkoeche kuesst man nicht
fragte Jonas dann.
»Naja«, gab ich zu. »Es sah so aus, als wären die Strecksehnen durchtrennt. Aber das wird der Chirurg schon wieder hinkriegen, keine Angst.«
»Ich habe keine Angst!«
»Das weiß ich doch.« Ich unterdrückte ein Lachen, weil Jonas mich ansah wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Autos.
»Ich bin ja bei Ihnen und halte Händchen, versprochen!«
»Sehr beruhigend.« Er grinste schief. »Und was schreiben Sie da gerade?«
»Ich rechne den Bedarf an Narkosemitteln aus.«
»Echt jetzt?«
»Echt.«
»Etwa mit Dreisatz? Gibt es für so etwas denn keine App?«
»Keine App?«, wiederholte ich und es klingelte in meinem Kopf. »Keine Ahnung«, gab ich zu, denn danach hatte ich noch nie gesucht. Aber das war eine interessante Idee.
Ich überließ Jonas der Schwester, die ihn aus den Klamotten schälen würde, und verließ den Ambulanzraum. Der Gedanke an diese App ließ mich aber nicht mehr los. Auf dem Weg zum OP schrieb ich meinem Bruder Claude eine SMS, mit der Empfehlung, er solle mal etwas Sinnvolles entwickeln wie eine App für Anästhesisten, anstelle des Spielzeugkrams.
Wenig später lag Jonas vor mir auf der Liege im OP, den Oberkörper entblößt und den linken Arm von sich gestreckt.
»Das wird jetzt mal kalt«, warnte ich ihn, bevor ich den Schallkopf in seine Achselhöhle drückte.
»Was machen Sie denn da?« Jonas’ Stimme zitterte.
»Ich suche die Arterie«, erklärte ich, dabei bewunderte ich hauptsächlich seinen Biceps brachii. Ob man vom Tellertragen solche Muskeln bekam?
»Es wird jetzt kurz piksen.« Ich spritzte ihm das Lokalanästhetikum in den Nerv, der sich direkt neben der Arterie befand. Das Narkosemittel verteilte sich langsam. Im Ultraschall sah ich, wie sich das Gewebe dunkel aufplusterte, dann schob ich das blaue Tuch über den Narkosebügel, damit Jonas nichts von der Operation sehen würde.
»Ich glaube, ich habe doch Angst.«
»Dafür bin ich ja da«, tröstete ich ihn. »Gleich ist Ihnen das völlig egal, ich spritze Ihnen noch was zu Beruhigung. Wenn irgendwas wehtut, dann sagen Sie sofort Bescheid.«
»Okay.« Er nickte. Sein Atem ging schnell.
»Was studieren Sie eigentlich?«, fragte ich, um ihn davon abzulenken, dass Dr. Biber gerade den Verband löste.
»Können wir nicht Du sagen?«
Ich hatte nichts dagegen. Jonas war etwa im selben Alter wie mein Bruder Claude, und damit fühlte ich mich ihm gleich verbunden. »Gerne. Also, was studierst du?«
»Sport.«
Das erklärte auch seinen trainierten Bizeps. »Bachelor?«
Er schüttelte den Kopf. »Master of Arts. Sport, Medien- und Kommunikationsforschung.«
»Das klingt, äh, spannend.«
»Ist es auch.« Er zuckte zusammen – vermutlich war der Biber ein wenig grob. Ich wagte es aber nicht, hinter das Tuch zu gucken. Außerdem krallte Jonas sich gerade an mir fest und zerquetschte mir mit seiner Rechten fast die Hand.
»Und was macht man dann später damit?« Ich musste versuchen, ihn am Reden zu halten, dann würde er sich sicher entspannen.
»Ich will zum Fernsehen.«
Wie praktisch, dass er bei Raphael aushalf, da konnte er schon mal Kontakte knüpfen.
Das Dormicum entfaltete langsam seine Wirkung, Jonas’ Atemzüge beruhigten sich, und er schloss sogar die Augen. Eine Situation, die man durchaus ausnutzen konnte, überlegte ich, als seine Hand die meine lockerer fasste.
»Wie arbeitet es sich denn so mit einem Fernsehkoch?«, fragte ich vorsichtig.
Jonas hatte die Lider weiterhin geschlossen. »Raphael ist total in Ordnung«, nuschelte er.
»Mmh«, brummte ich leise in sein Ohr. »Keine Starallüren?«
»Wie sollte jemand Allüren entwickeln, wenn er in seiner Freizeit Erde umgräbt?«
Das war eine gute Frage. Etwas Bodenständigeres gab es wohl kaum.
»Er gärtnert?«
»Und fährt Motorrad, spielt Fußball und singt im Kirchenchor.«
»Du veräppelst mich, oder?«
Seine Lider sprangen auf. »Ja«, gab er zu. »Eigentlich hat Raphael überhaupt keine Zeit für Hobbys. Er ist ständig im Restaurant, und wenn er einmal nicht dort ist, dann muss er zum Sender. Ich finde das ja echt spannend, aber ehrlich, ich möchte nicht mit ihm tauschen. Ab und zu lädt er ein paar Freunde zu sich ein. Aber sein Privatleben ist ganz schön dürftig.«
Seiner Erzählung hatte ich gebannt gelauscht, und dass nicht nur aufgrund meiner Neugierde. Ich war auch froh, dass Jonas jetzt keine Angst mehr hatte.
»Und wie kommt es, dass ein Mann wie er noch nicht verheiratet ist?«
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