Fessel Mich
Hund.
Mist. Ich… ich konnte nur hoffen, dass er nicht tatsächlich als verspätete Reaktion… weinte oder so.
»Rick…« Ich rutschte auf dem Bett näher zu ihm heran, hielt jedoch inne, als Rusty drohend ein kurzes Grollen hören ließ. Wahrscheinlich witterte er die Spannung in der Luft. »Ich war wirklich einsam, damals. Ich hab’… ich habe dir nicht geantwortet, um dich zu verarschen. Beim ersten Satz wusste ich noch nicht einmal genau, ob du es bist, obwohl ich wusste, dass… dass du dich meistens auf den Toiletten versteckt hast.«
Er nahm das Gesicht aus dem Fell und blitzte mich über die Schulter so verächtlich an, dass ich mich fragte, wie ich jemals glauben konnte, er würde weinen.
»Steck’ dir deine Entschuldigungen sonst wohin, okay? Ich kann auf dein geheucheltes Mitleid sehr gut verzichten. Konnte ich schon immer. Und das liegt jetzt schon Jahre zurück. Ich bin ein ganz anderer Mensch.«
»Ja«, stimmte ich ihm unumwunden zu. »Das bist du.« Und nicht weniger begehrenswert. Wenn auch nicht mehr so nett wie früher, aber das hatten wir wohl erfolgreich vernichtet. »Und wahrscheinlich gibt es keine Entschuldigung dafür. Aber… aber ich will, dass du weißt, dass ich diese Sachen nicht geschrieben habe, um dich zu verarschen.«
Er schnaubte. »Sondern? Weil du so ein herzensguter Mensch bist?«
»Nein. Weil ich die Schule genauso sehr gehasst habe wie du.«
»Natürlich.«
Ich überging den beißenden Sarkasmus in seiner Stimme und fuhr fort: »Ich konnte nicht sagen, was ich dachte, ohne dass mir von allen Seiten Prügel angedroht wurde. Ich konnte aus… aus diesem Gesellschaftskreis nicht ausbrechen, weil meine Eltern einfach dazugehörten und ich somit auch. Poolpartys, Grillabende, irgendwelche Feste… Ich habe sie ständig überall gesehen und habe die blödesten Sachen mitgemacht, weil es auf eine gewisse Weise von mir verlangt worden war.«
»Du Ärmster. Auf die Idee, dich gegen diese Schwachköpfe zu stellen, bist du wohl nicht gekommen, wie?«, wollte er schneidend wissen. »Gegen sie und für mich.«
»Doch. Sogar mehrmals. Aber ich hätte mich allein gegen alle stellen müssen. Und dafür… war ich zu feige.«
Schnaufend schüttelte er in völligem Unverständnis den Kopf und spielte mit Rustys spitzen Schlappohren, bis der Hund brummend den Kopf wegzog. Wahrscheinlich war es für ihn sogar wirklich unverständlich, aber da seine Mutter so früh gestorben war und er offenbar kein sonderlich gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt hatte, hatte er vermutlich auch keine Ahnung, was für einen Druck Eltern auf ihr Kind ausüben konnten, wenn sie zusammenhielten. Und nebenbei noch ihren gesamten Freundeskreis und deren Nachwuchs hinter sich hatten.
»Als ich zufällig herausbekommen habe, dass du mir immer antwortest, habe ich die Kritzeleien und das Herumalbern noch viel mehr genossen. Weil wir irgendwie in der gleichen Situation feststeckten.« Es erschien mir ziemlich wagemutig, ihm an dieser Stelle zu sagen, dass sich später noch etwas anderes zu diesem Gefühl der Vertrautheit gemischt hatte und so ließ ich es bleiben. Mittlerweile war es sowieso ohne Bedeutung, weil ich mich dummerweise auch in den neuen Patrick Mainer verguckt hatte.
Eine seltsame Schicksalsfügung.
Eine lange Weile erwiderte er daraufhin gar nichts, sondern widmete sich mit ganzer Aufmerksamkeit Rusty. Ich fing schon an, mich zu fragen, ob er mir gar nicht zugehört hatte oder ob die Worte tatsächlich Anklang bei ihm gefunden hatten und er sie nur noch sacken lassen musste.
»Du hättest«, setzte er schließlich zögerlich an, »du hättest dich trotzdem zu erkennen geben können. Irgendwann. Mit einem Anruf. Oder wenn keiner dabei war. Ich habe…« Er brach ab, als wäre er sich doch nicht so sicher, ob er mir das Nächste mitteilen sollte. Dann jedoch zuckte er mit den Schultern, als wäre jetzt eh alles egal, und fuhr fort: »Ich habe mich während der ganzen Zeit so sehr nach jemandem gesehnt, mit dem ich reden kann. Nach… einem Freund.« Der schmerzvolle Unterton aus seiner Stimme verschwand und im nächsten Augenblick war sein Tonfall wieder klirrend kalt. »Wie auch immer. Das tut alles nichts mehr zur Sache, weil es Vergangenheit ist. Ich habe die Schule gewechselt, den ganzen Scheiß vergessen und, verdammt noch mal, etwas aus mir gemacht. Jemanden.« Unvermittelt drehte er sich so, dass er vor dem Bett kniete, sich auf der Matratze abstützte und mich hoch erhobenen
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