Fessel Mich
geschrieben habe.«
»Klar.« Seine Stimme klang so kalt und gleichgültig, dass es unverkennbar war, dass er mir nicht glaubte. Aber er musste! Wenigstens dabei.
»Ich habe die Sätze geschrieben, weil ich mich dir… verbunden gefühlt hatte. Verstehst du? Und damit du dich… nicht so einsam fühlst.«
Unvermittelt blitzten mich seine goldbraunen Augen wütend an. »Ich war einsam!«, fuhr er mich an und zeigte damit endlich eine etwas lebhaftere Reaktion, auch wenn sie von Schmerz und Wut gezeichnet war.
»Ich auch.«
Er schnaufte verächtlich, verzichtete jedoch darauf, irgendetwas zu sagen, weil ihn sein eigener Ausbruch eben zu verärgern schien. Im nächsten Moment stand er auf, um dieser zweifellos unangenehmen Situation zu entkommen. Wegen der Handschellen kam er allerdings keinen Schritt weit. Fluchend zerrte er daran herum, gab schließlich auf und setzte sich mit dem Rücken ans Bett gelehnt auf den Boden. Er zeigte mir buchstäblich die kalte Schulter.
Und ich verstand ihn absolut. Angesichts dessen, was er während seiner Schulzeit durchgemacht hatte, hatte er jedes Recht dazu. In mir breitete sich der fast unbezwingbare Drang aus, mich abwechselnd bei ihm zu entschuldigen oder ihm – Lichtjahre zu spät – eine tröstende Umarmung zu geben. Aber da ich wusste, dass beides mehr als unwillkommen war, blieb ich regungslos auf dem Bett sitzen und starrte seinen strohblonden Hinterkopf an.
Es stimmte, was ich gesagt hatte. Ich hatte ihn wirklich nie angerührt, auch wenn ich ihm ebenso wenig geholfen hatte. Das wäre reiner Selbstmord für mich gewesen. Allerdings hatte ich versucht, ihm heimlich hinter den feindlichen Linien zu helfen, aber wann immer ich angemerkt hatte, dass ich es langweilig und ein bisschen ungerecht fand – eine andere Ausrede war mir nicht eingefallen –, immer auf denselben loszugehen, wurde ich als Weichei verschrien und gefragt, ob sie denn dann stattdessen mal auf mich losgehen sollten?
Was hatte man da als Dreizehnjähriger schon groß zu sagen? Mit den Jahren hatte sich das – zugegeben – nicht geändert. Aber das Verhältnis war ja auch gleich geblieben: Einer gegen viele. Und ich war zu feige gewesen, Patrick öffentlich zur Seite zu stehen. Sogar noch mit fünfzehn.
»Erzähl mir nicht, dass du einsam gewesen bist«, sagte er dann nach einer Weile schließlich schroff. Sein angepisster Tonfall verriet, dass er außerdem nicht gerade erfreut über seine – für seine Verhältnisse – heftige Reaktion von eben war. Vermutlich rühmte er sich sonst immer damit, über die alten Zeiten hinweg zu sein. »Ihr wart immer zwanzig, dreißig Leute.«
»Und ich hatte mit ihnen nicht das Geringste gemeinsam. Außer Geld und Eltern, die sich untereinander alle kannten. Das war der einzige Grund, warum ich sofort in ihrer Clique aufgenommen wurde, obwohl ich neu dazu zugezogen war.«
»Wie schön für dich.« Die Gleichgültigkeit in seiner Stimme traf mich mitten ins Herz. Er verstand nicht, dass ich selbst unter zwanzig, dreißig Leuten genauso einsam gewesen war wie er.
Und gleich darauf zeigte er mir sein Desinteresse an meiner Geschichte auch noch durch visuelle Ausgrenzung, weil er Rusty wieder mit diesem Kussgeräusch herbeirief. Keine Sekunde später trappelten die Krallen über das Parkett und dann trabte der schwarze Mischling auch schon ins Schlafzimmer. Neben Rick hielt er an und schob ihm die schmale Schnauze ins Gesicht, bis Rick ihm mit der linken Hand den Kopf kraulte.
Allein das war schon ein Anblick, bei dem ich mich wie der hinterletzte Abschaum fühlte – immer noch. Nach mittlerweile sieben Jahren. Denn im Gegensatz zu den anderen Volltrotteln aus unserer Schulzeit hatte ich es nie genossen, wenn Rick irgendwann mit diesem hoffnungslos gequälten Gesichtsausdruck das Weite gesucht oder sich in einer Ecke zusammengekauert hatte.
Viel, viel schlimmer wurde es jedoch, als der Hund sich hinsetzte und Rick sein Gesicht im Fell des Tieres vergrub. Rusty stellte buchstäblich die Schulter zum Ausheulen dar und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mich mit grimmigem Gesichtsausdruck musterte, weil ich sein Herrchen verletzt hatte. Plötzlich kam ich mir ziemlich dumm vor, Rick vorhin vorgeworfen zu haben, den Hund absichtlich die Schlüssel fressen gelassen zu haben. Das war bestimmt auch nicht gerade angenehm für Rusty, auch wenn die Dinger noch so klein waren. Und so, wie Rick ihn umarmte, wollte er nur Gutes für seinen
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