Fessel Mich
Zeit über keinen Gedanken an ein Gesprächsthema verschwendet. Es war einfach zu einer Unterhaltung gekommen. Ich hatte geredet, ohne nachzudenken.
Jetzt ging das irgendwie nicht mehr.
»Also«, begann ich zögerlich, »ich… sollte dann wohl mal gehen.«
Rick nickte. »Jetzt kannst du es ja.« Er schnappte sich die Handschellen vom Tisch, marschierte damit einmal quer durch den Raum und verstaute sie in der untersten Schublade einer Vitrine. Es lagen drei gefühlte Fußballfelder zwischen uns.
»Ja. Ähm… ich werde mir ein Taxi rufen.« Völlig absurd, zu glauben, er würde mich in die Stadt zurückbringen.
»Vor dir liegt das Telefon.«
Als ob ich blind wäre!
Ich gab mir einen Ruck. »Das sehe ich.« Herrgott, was war denn los auf einmal? Ich hatte mich doch nun quasi selbst vor die Tür gesetzt, also konnte er es nicht mehr tun. Es bestand kein Grund, jedes Wort tausendfach abzuwägen. Das hatte ich vorhin doch auch nicht gemacht.
Ich griff nach dem Telefon und wählte eine lokale Taxirufnummer, während Rick im Flur eine Hundeleine aus Leder von einem Garderobenhaken nahm und Rusty mit dem Kussgeräusch in den Flur rief. Der Hund trappelte sofort folgsam los und wuffte begeistert auf, als er die Leine zu Gesicht bekam. Anstatt sich jedoch brav anleinen zu lassen, sprang er verzückt um sein Herrchen herum. Rick fluchte und lachte gleichzeitig und wies Rusty nicht wirklich ernst dazu an, endlich stehen zu bleiben, wenn er heute noch mal raus wollte. Schließlich gab er auf und hängte sich die Leine einfach über die Schulter.
»Hallo? Sind Sie noch dran? Hallo?«
»Äh, ja, ja. Ich…« … ‚verfalle nur schon wieder in Tagträumereien‘! Um diese Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, schüttelte ich ihn kurz. »Warten Sie bitte eine Sekunde, ja?« Ich bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand und wollte gerade nach Rick rufen, um von ihm die genaue Adresse zu erfahren, verfiel aber erneut ins Starren.
»Wenn du noch mal meine Schlüssel frisst – ganz egal welche, Auto-, Wohnungs- oder Handschellenschlüssel –, setze ich dich zwei Tage lang auf Diät. Doch, das tue ich. Da brauchst du gar nicht so blöd gucken, Dicker, du kriegst eh viel zu wenig Bewegung.« Er tätschelte Rustys Bauch und drückte ihm einen Kuss auf die Schnauze, woraufhin sich der Hund prompt zu Boden fallen ließ und Rick seinen angeblich dicken Bauch zum Kraulen darbot. »Du bist mir einer«, lachte Rick und stürzte sich dann spielerisch auf den Mischling, so dass die zwei sich plötzlich auf dem Boden kabbelten.
»Halloho?«
»Ja doch! – Rick.« Ich hasste es, dass sich sein Gesichtsausdruck schon wieder so sehr veränderte, als er zu mir rüber sah. »Die Adresse?«
»Sandkamp 17. Und jetzt komm’ mal in die Puschen, das wird ja gleich schon wieder hell draußen.«
Ich gab die Adresse weiter und legte dann auf. »Zwanzig Minuten.«
»Das ist normal.« Er stellte sich wieder aufrecht hin und der Hund sprang ebenfalls zurück auf alle viere. »Wenn du nicht draußen warten willst, zieh einfach die Tür hinter dir zu, wenn du gehst, okay?«
»Was? Wo willst du denn hin?«
»Spazieren gehen. Sonst kann ich in einer Stunde ja wieder aufstehen, weil der Hund raus muss.«
Aha – und sein Spaziergang würde länger als zwanzig Minuten dauern? Um fünf Uhr früh? Sonst hätte er mich doch wohl gefragt, ob ich mitkommen wollte, oder? Nein, wahrscheinlich nicht.
‚Herrje, Flo! Schlag ihn dir aus dem Kopf, verflucht! Die Handschellen sind ab und schon behandelt er dich wie Luft. Mal ganz davon abgesehen, dass er dich hasst. Also‘!
Rick griff erst nach dem Wohnungsschlüssel und dann nach der Türklinke, als ich hastig sagte: »Ich warte draußen.« Anfang Juni war es schließlich nicht gerade kalt draußen und so konnte ich zumindest noch ein, zwei Minuten länger seine Gesellschaft genießen – auch wenn mein Selbstwertgefühl diese Erbärmlichkeit alles andere als genoss.
Rick zuckte nur mit den Schultern. »Von mir aus.« Dann verschwand er im Treppenhaus und ich beeilte mich, ihm zu folgen.
Draußen war es dann doch ein bisschen frischer als erwartet. Das war mir vorher, als ich noch an Rick hing, gar nicht so aufgefallen. Aber jetzt war ich dankbar für das Longsleeve, das ich noch über dem T-Shirt trug, weil Freddy und Thomas mich vor gefühlten hundert Stunden zu Hause überfallen hatten. Inzwischen musste ich mich dafür bei ihnen wohl bedanken – auch wenn sie sich wahrscheinlich wieder sonst was
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