Fessel Mich
ausmalten, wie dieser Abend wohl für mich verlaufen war.
Und ich hätte die Chance dazu gehabt. Ich hätte sie gehabt. Aber ich Idiot hatte ja unbedingt zögern müssen. Verfluchter Mist.
Als wir schon unten zur Haustür raus waren und Rusty bereits zum ersten Fleckchen Grün gestürmt war, um sein Revier zu markieren, kam mir plötzlich ein Gedanke. Jetzt, wo ich wusste, dass Rick Patrick war, machte sein Verhalten bei der letzten ‚Fessle mich‘ -Party fast einen Sinn. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte sein Vater eine starke Neigung zum Alkohol entwickelt und im Laufe der Jahre immer mehr ausgeweitet. Und Rick selbst trank keinen Alkohol – oder zumindest nur wenig. Hieß das …
»Rick!«
Genervt aufseufzend drehte Rick sich zu mir um. »Was denn? Hast du’s dir schon wieder anders überlegt und möchtest doch drinnen bleiben?«
»Hättest du bei der letzten FM-Party mit mir geschlafen, wenn ich nüchtern oder zumindest nicht ganz so betrunken gewesen wäre?«
Rick schnaubte amüsiert. »Was ist das denn für eine Frage? Das war vor einem halben Jahr und eben hätte ich dich fast vor einer halben Stunde gevögelt – ist das nicht wichtiger?«
Nein. Weil ich eben das Erstbeste in Reichweite gewesen war. Bei der letzten ‚Fessle mich‘ -Party nicht. Gut, ich hatte mich an ihn gekettet, aber er hatte mich unversehrt nach Hause gebracht, obwohl er das nicht hätte tun müssen. Das war mir schon zuvor seltsam erschienen.
»Hättest du?«, blieb ich hartnäckig.
Rick pustete sich eine strohblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und kam dann die paar Meter wieder zu mir zurück. Auf der Stufe unter meiner blieb er stehen, so dass er leicht den Kopf in den Nacken legen musste. Die goldbraunen Augen blitzten im schwachen Licht der Eingangsbeleuchtung belustigt auf, als er raunte: »Vielleicht. Immerhin hast du dich so plump an mich gekettet. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.«
Das leider völlig passende Sprichwort in diesem unpassenden Moment hätte mich eigentlich wütend machen sollen. Vielleicht tat es das auch bis zu einem gewissen Grad, aber im Augenblick konnte ich nur daran denken, wie sich seine Lippen auf meinen, seine Zunge an meiner angefühlt hatte. Er war mir so nah. So nah, dass ich selbst bei diesen Lichtverhältnissen die winzige Windpockennarbe unter seinem rechten Auge sehen konnte.
In meiner Leistengegend erwachte ein schwaches Prickeln. Meine Finger juckten nach seiner Haut und meine Lippen kribbelten sehnsüchtig. Ich wollte ihn anfassen. Jetzt, in dieser Sekunde. Ich wollte ihn küssen und mich an ihn schmiegen. Noch einmal das unfassbare Gefühl von seinem festen Körper an meinem spüren – und nicht zögern. Auf keinen Fall mehr zögern. Oh Gott, wenn er noch länger direkt unter meiner Nase stehen blieb, musste ich mich ihm wohl oder übel auf erbärmlichste Art und Weise an den Hals werfen.
Dann brach Rick plötzlich den Bann, weil er den Kopf schmunzelnd senkte und damit den Augenkontakt unterbrach. »Wenn du mich damals so angeschaut hättest wie jetzt gerade und nicht in zwei verschiedene Richtungen gleichzeitig geguckt hättest – wahrscheinlich«, murmelte er, ehe er mich wieder von unten her ansah. »Dabei fällt mir ein: meine Frage. Du bist mir noch eine Antwort schuldig.«
»Du mir auch«, entgegnete ich rau. Ich hatte das Gefühl, gar nicht mehr denken zu können. Mit einem einzigen Blick ließ er mal eben hunderte meiner Gehirnzellen verglühen.
Fragend runzelte er die Stirn. »Ich dir?«
»Ja. Warum hast du mich so fürsorglich behandelt, als ich sturzbetrunken war? Du kannst Alkoholiker oder stark betrunkene Menschen nicht leiden.«
Seine Augen wurden unvermutet schmal und seine Stimme kühl, als er wissen wollte: »Worauf willst du hinaus?«
»Dein Vater war Alkoholiker. Vermutlich ist er daran sogar gestorben. Alkoholvergiftung oder etwas Ähnliches. Euer Verhältnis zueinander war schlecht.«
Das herauszufinden war, nach dem, was ich wusste, nicht mehr wirklich schwer, trotzdem blinzelte er mich leicht verblüfft an. Dann hatte er sich wieder gefangen, stieg die Stufe hinunter, um wieder mehr Abstand zwischen uns zu bringen, und rammte seine Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. »Und, Dr. Freud, was schließen wir daraus?«
Etwas sehr Kühnes, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt – und wenn ich jetzt nicht wagte, würde ich ihn vielleicht nur noch oben auf seinem Tanzsockel begutachten dürfen.
»Dass du mich magst.«
Spontan
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