Fessel Mich
missbilligendem Blick neben mir erschien, und verschüttete aus Versehen etwas von dem Champagner – dem Empfangsdrink – über meinen Jackettärmel. Legere Kleidung war sogar bei einer häuslichen Dinnerparty ein Fauxpas, den sich ein Klippstein niemals erlauben durfte.
»Ja, Vater?«
»Wir haben dich nicht eingeladen, damit du dich die ganze Zeit über in einer dunklen Ecke verkriechst.« Seine Mundwinkel verzogen sich minimal nach unten, während der Blick in seinen dunkelbraunen Augen, die – wenn auch etwas schräger gestellt – ebenfalls in meinem Gesicht prangten, hart blieb. »Jeder Einzelne von den hier Anwesenden könnte ein zukünftiger Geschäftspartner von dir sein – oder ist es sogar schon. Du könntest ruhig zeigen, dass du der Sohn deines Vaters bist, und dich unter die Leute mischen.«
»Ich genehmige mir nur eine kurze Pause.« Darüber hinaus konnte absolut nicht von einer ‚Einladung’ die Rede sein, wenn man regelrecht gezwungen worden war, hier aufzukreuzen. Ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum Rick sich freiwillig mit derartigen Leuten abgeben wollte – selbst wenn ihn das in seinem Selbstwertgefühl bestätigen sollte.
»Wenn du in der Woche zu viel feierst, ist das deine Sache – aber das sollte auf keinen Fall irgendwelche Auswirkungen auf dein gesellschaftliches Auftreten haben. Oder auf dein Studium«, fügte er scharf hinzu. »Professor Lubert hat mir erzählt, dass du schon seit Anfang der Woche seltsam abwesend in den Vorlesungen und Seminaren bist.«
Oh, hervorragend! Das Netzwerk meiner Eltern hatte wieder zugeschlagen – nach nicht einmal drei Tagen! »Ich dachte, ihr hättet davon abgesehen, mich stündlich zu überwachen?«, entgegnete ich in einem ebenfalls scharfen Tonfall, der jedoch noch lange nicht an den meines Vaters herankam. Aber jahrelange Übung ließen sich nicht so einfach aufholen. Und ich war mir ziemlich sicher, seine mächtige Ausstrahlung, die alles und jeden in seiner Gegenwart nicht nur winzig, sondern auch unbedeutend erscheinen ließ, niemals erlernen zu können.
Was ihn zweifellos ärgern würde. Mich dagegen freute es sogar ein bisschen.
»Wenn es um deine bizarren Vorlieben geht, ja, aber nicht, wenn es um dein Studium geht, Florian. Mir scheint langsam, es ist ein Fehler gewesen, dir diese Wohnung zu bezahlen. Du hättest bis nach dem Studium zu Hause leben sollen, damit wir dein liederliches Verhalten wenigstens etwas unter Kontrolle halten können.«
Verärgert biss ich die Zähne zusammen. »Ich verhalte mich weder liederlich, noch feiere ich zu viel. Ich hatte einfach drei schlechte Tage.«
»In der Folge?«
»Ja! In der Folge!«
Seine Augen verengten sich warnend, als ich unbeabsichtigt meine Stimme anhob. »Drei schlechte Tage im Berufsleben können sich schon vernichtend für das ganze Unternehmen auswirken.«
»Nun«, entgegnete ich gelassen, »zum Glück studiere ich noch, nicht wahr?«
»Das ist nicht lustig, Florian.« Er schwieg ein paar Sekunden, dann beugte er sich vertraulich näher zu mir herüber und flüsterte nur noch, als er fragte: »Ist etwas nicht in Ordnung? Bist du krank?«
Bei jedem anderen wäre dies eine wohlgemeinte Frage gewesen. Eine sorgenvolle Frage, die sich tatsächlich nach dem Befinden erkundete.
Allerdings nicht bei Gunther Klippstein. Möglicherweise kümmerte es ihn zu einem Bruchteil, ob mit mir etwas nicht stimmte, aber viel größere Sorgen machte er sich um den Erhalt seines Konzerns und seines Rufs. Denn die Erkundigung nach der Krankheit bezog sich einzig und allein auf AIDS und tauchte in schöner Regelmäßigkeit monatlich auf.
»Weißt du«, sagte ich gedehnt, »die Tatsache, dass diese Frage immer deine erste ist, sagt ziemlich viel über deine Meinung über mich aus.«
»So?« Elegant hob er eine aristokratisch geschwungene Augenbraue an. Er hätte sich wahrscheinlich totgelacht, wenn er gewusst hätte, dass ich diese Geste schon mehrmals erfolglos vor dem Spiegel geübt hatte. Ihm schien sie einfach angeboren zu sein, um anderen seine Geringschätzung mitzuteilen. »Was ist es dann, das dich so ablenkt?« Er presste für einige Sekunden die Lippen zusammen, entschied sich dann aber doch, zu fragen: »Ein Mann?«
Ich war so erschrocken über diesen unerwarteten Treffer mitten ins Schwarze, dass ich um ein Haar mein Champagnerglas fallen gelassen hätte.
Aufstöhnend schüttelte mein Vater den Kopf. »Herrgott, Florian!«, stieß er verärgert hervor. »Ein
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