Fessel Mich
Mann?! Wegen eines anderen Mannes setzt du deine ganze Zukunft aufs Spiel?« Der Ausdruck in seinen Augen ließ zweifelsfrei erkennen, dass ich in seinem Ansehen wieder einmal rapide gesunken war. Nicht nur, dass er zwischenmenschliche Gefühle für völlig überbewertet hielt, weil sie allerhöchstens angenehme Nebeneffekte, ganz sicher aber keine Notwendigkeiten waren, obendrein glaubte er auch noch, dass Gefühle zwischen Männern von vornherein nicht existierten. Das war das einzig Positive gewesen, was er nach meinem Outing gesehen hatte: keine gefühlsduseligen Ablenkungen vom Geschäftlichen.
»Ich setze meine Zukunft nicht aufs Spiel, nur weil ich drei Tage in der Uni unaufmerksam war«, entgegnete ich scharf. »Jeder hat mal ein paar schlechte Tage.« Und ich hatte nicht vor, Rick weiterhin meine Gedankenwelt beherrschen zu lassen. Wozu? Es brachte ja doch nichts.
Er nahm einen großzügigen Schluck von seinem Champagner. »Offensichtlich hast du noch nicht gelernt, Prioritäten zu setzen. Und lass um Gottes willen deine Mutter nichts von diesem Blödsinn hören!«
Ich hätte nicht einmal ihn etwas hören lassen, wenn er nicht so gut geraten hätte. Aber in dieser Hinsicht ergänzten sich meine Eltern wirklich perfekt, weil sie beide die gleichen Ansichten bezüglich störender Gefühle vertraten. Hin und wieder beneidete ich sie darum – besonders in den verflixten Stunden, wenn Rick mir nicht aus dem Kopf wollte –, aber die meiste Zeit über bedauerte ich sie. Sie arrangierten sich einfach und waren sich gegenseitig sympathisch. Möglicherweise ein gutes Rezept für eine lang anhaltende Ehe, aber ich bezweifelte stark, dass einer von ihnen sich jemals so leidenschaftlich nach einer Berührung oder einem Blick gesehnt hatte, wie es bei mir der Fall war – ganz egal, ob Rick anwesend war oder nicht.
»Es gibt sowieso nichts zu erzählen, dahingehend kann ich dich beruhigen.«
»Dann ist also wenigstens einer von euch ein kluger Mann.«
Ich bleckte die Zähne zu einem mühsamen Lächeln. »Vielen Dank, Vater.«
»Über diese Einstellung von dir müssen wir uns auch noch mal zu einem späteren Zeitpunkt unterhalten«, mahnte er streng, weil ihm mein Tonfall nicht gepasst hatte. »Zum Mittagessen vielleicht, am Wochenende. Aber zuerst« – völlig übergangslos sprang ein ebenso freundliches wie einstudiertes Lächeln auf seine Züge, als sich ein großer, schlanker Mann mit bereits ergrauten Schläfen auf uns zu bewegte – »arbeiten wir an deiner Karriere. – Herr Dr. Jahnfeld! Freut mich sehr, dass Sie es einrichten konnten! Ich hoffe, Ihr Training leidet nicht zu sehr unter diesem kleinen Ausfall.«
Der andere lachte gutmütig. »Um Sie beim nächsten Golfturnier schlagen zu können, müsste ich mein Handicap innerhalb der nächsten zwei Wochen schon um zehn Punkte verbessern.« Neugierig beäugte er mich, was ich seit meiner Ankunft hier schon dutzendfach über mich ergehen lassen musste, da mich meine Eltern für gewöhnlich eher versteckten oder totschwiegen. Meine Vorstellung mit ordentlichem Händeschütteln und belanglosem Smalltalk ging daher fast automatisch über die Bühne, was Jahnfeld schmunzelnd zur Kenntnis nahm.
»Sie kommen wirklich ganz nach Ihrem Vater, Florian.«
Obwohl das in meinen Ohren eher weniger wie ein Kompliment klang, bedankte ich mich lächelnd und sah innerhalb der nächsten Minuten schleunigst zu, unter irgendeinem Vorwand das Weite suchen zu können. Das würde mir im Anschluss zwar eine Predigt sowohl von meinem Vater als auch von meiner Mutter einbringen, aber das war es mir definitiv wert, bevor ich noch irgendetwas Dummes tun und vor lauter Affektiertheit durchdrehen konnte.
Außerdem begann es, mich im zunehmenden Maße zu ärgern, wie leicht man mir offenbar meine derzeitigen Gedanken – oder die Abwesenheit eben dieser – ansehen konnte. Als ich mich von Olaf getrennt hatte, hatte niemand auch nur irgendetwas gesagt – mal abgesehen von Freddy und Thomas, die jedoch alles von Anfang an mitbekommen hatten. In diesem Zustand eines offenen Buches musste ich mich also nicht unbedingt den wertvollen Bekannten und Geschäftspartnern meiner Eltern präsentieren und entschlüpfte nach einer weiteren, ewigen Viertelstunde einfach durch eine Hintertür zum Garten hinaus.
Dafür ließ ich mich gleich am Freitag wieder von Freddy und Thomas überreden, mit ins ‚Palace‘ zu gehen, was ich für eine gute Gelegenheit hielt, meine Gedanken zumindest ein wenig
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