Fesseln der Erinnerung
Leuchten brachte. Das Andere flüsterte ihr zu, er sei viel zu schlau, würde bald alles über sie wissen und sich dann von ihr abwenden. Das würde sehr wehtun. Und das kleine, gebrochene Mädchen in ihr, das sie so gut hinter Silentium versteckt hatte, wollte keine Schmerzen mehr haben.
„Ich habe alles gesagt, was es zu sagen gab“, unterbrach Nikita die kurze Stille. „Wenn Sie die Regeln brechen, werden Sie dafür zahlen.“
Sophia wusste genug über Nikita Duncan, um ihr abzunehmen, dass es keine leere Drohung war. Es wurde gemunkelt, die Ratsfrau könne Viren übertragen, sogar kraft ihrer Gedanken damit furchtbare – und wenn sie wollte, auch schmerzhafte – Infektionen hervorrufen. „Verstanden.“ Sophia stand auf und nahm ihren Organizer an sich. „Ich habe noch eine Frage, die aber nur am Rande mit dem Fall zu tun hat.“
Nikita wartete.
„Meinem direkten Vorgesetzten zufolge haben Sie ausdrücklich nach mir verlangt.“ Und Sophia hatte nicht einmal gewusst, dass Nikita überhaupt ihren Namen kannte. „Gibt es einen besonderen Grund dafür?“
„Es war sinnvoller, Sie auszuwählen, als einen vollständig funktionstüchtigen J-Medialen abzuziehen.“ Kalt und nüchtern. Völlig logisch.
Bis auf einen Punkt.
Nikita hatte gelogen.
Als sie das Apartment erreichten – zwischendurch hatten sie kurz angehalten, um ein paar Dinge einzukaufen – , waren Max’ Gedanken wieder zu Bonner zurückgekehrt. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken, wenn auch nur, um Bonner nicht zu viel Raum in sich zuzugestehen, und sah sich in der Wohnung um, während Talin mit Morpheus spielte, der immer noch schmollte, weil man ihn eingesperrt hatte. Aber der Einsatz von Katzenleckerlis und Talins sanftes Streicheln holten ihn allmählich aus seiner Ecke.
„Hübscher, als ich erwartet hatte“, sagte Max zu Clay. Ein großes Schlafzimmer, Wohnbereich, Küche und Bad. Und viele Fenster. „Sonderermittler zu sein, zahlt sich offenbar mehr aus als die Arbeit eines einfachen Detective.“
Clay stellte sich neben Max ans Fenster neben der Essnische. „Schöner Blick. In letzter Zeit hatten wir morgens immer dichten Nebel, aber die Sonnenaufgänge sind dann noch spektakulärer.“
„O ja.“ Max senkte die Stimme. „Was macht Jon?“
Der Jugendliche war im letzten Jahr entführt und in einem medialen Labor festgehalten und gefoltert worden, bevor es gelungen war, ihn zu befreien. Als sich Max das letzte Mal nach ihm erkundigt hatte, hatte er Clay und Talin mit seinen Eskapaden das Leben schwer gemacht.
Clay grinste. „Immer noch ein jugendlicher Klugscheißer.“
„Also alles im Normalbereich?“
„Klar. Er ist in eine der dominanten Frauen verliebt – der arme Junge. Ihm ist nicht klar, dass es schon nett von ihr ist, dass sie ihm nicht in den Arsch tritt.“
Max grinste ebenfalls, ein Gefühl von Erleichterung breitete sich in ihm aus. „Ich wette, sie findet ihn zum Anbeißen.“
Clay schnaubte. „Ist mehr so was wie: Verdammt, ich kann dem Kleinen doch nicht wehtun.“
„Autsch.“ Max zuckte zusammen, er hatte Mitleid mit Jon. „Das schmerzt.“
„Und wie.“ Der Blick von Clay war sehr katzenhaft. „Aber der Junge ist nicht davon abzubringen. Und wer weiß, was in ein paar Jahren sein wird.“
„Max?“
Er drehte sich um, Morpheus saß auf Talins Schoß und schnurrte. Der undankbare Straßenkater hatte bei ihm noch nie geschnurrt. Mehr als Knurren und Fauchen war nie drin. „Was ist?“
„Soll ich ihn mit zu uns nach Hause nehmen?“ Sorge malte sich auf Talins Gesicht. „Er sieht nicht so aus, als würde er sich in einer Wohnung wohlfühlen.“
Max sah Morpheus finster an. „Das tut der verdammte Kater auch nicht. Nach spätestens einem Tag weiß er, wie er hier rauskommt.“ Und würde wahrscheinlich mit ein paar weiteren Narben zurückkommen, die er seiner sowieso schon umfangreichen Sammlung hinzufügen würde.
Talin streichelte den treulosen Kater hinter den Ohren. Morpheus’ Augen schlossen sich beinahe genüsslich. „Also gut“, sagte Talin zweifelnd. „Wenn er Sehnsucht nach etwas Grünem bekommt, weißt du ja, wo du mich findest.“
„Morpheus’ Lieblingssport ist es, Mülleimer zu durchwühlen – im Wald holt er sich wahrscheinlich ein Aneurysma“, grummelte Max. „Schnurrt er tatsächlich?“
„Ja, natürlich. Ich weiß, wie man mit Katzen umgeht.“ Ein heißer Blick, der nur für ihren Gefährten gedacht war.
Max wippte auf den Absätzen vor und
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