Fesseln der Nacht - Feehan, C: Fesseln der Nacht - Predatory Game
begann zaghaft und fand heraus, dass sich einzelne Impulse für das Wachstum von Nervenbahnen wesentlich besser eigneten als eine stetige Stromzufuhr. Mit genügender Ausdauer konnte sie ein ganzes Nervensegment erzeugen. Es war ein erstaunliches Gefühl. Die Nervenzellen fühlten sich wie Pflanzen an, die in ihrer Vorstellung sprossen und die sie dementsprechend visualisierte. Einige trieben zögernd Ranken aus, die um benachbarte
Zellen herumwachsen würden. Andere zogen sich zurück, wenn sie andere Zellen berührten.
Nachdem sie einige neue Nervenzellen »gepflanzt« hatte, »feuerte« sie wiederholt so, als benutzte Jesse diese Nervenzellen immer wieder, um sie »anzulernen« und das Wachstum noch neuerer Neuronen anzukurbeln, die an ihnen hingen. Wenn sie mehr Strom erzeugte, führte das zu einem schnelleren Wachstum neuer Nervenzellen … aber sie musste sich auch davor hüten, es zu übertreiben, denn sonst wäre das neue Nervensegment, das sie erschuf, gewissermaßen »verbrutzelt«.
Es war eine anstrengende Beschäftigung, aber ihre Zuversicht wuchs, als sie merkte, dass unbrauchbares Gewebe und nutzlose Zellen durch gesunde Muskeln und Nerven ersetzt wurden. Sie konzentrierte sich auf die Bereiche, die am schlimmsten beschädigt waren, um die Bionik-Elemente herum, wo die elektrischen Signale bisher nicht weitergeleitet worden waren, und stimulierte das Wachstum in exakt den Muskeln und Nerven, die gebraucht wurden, um die Bionik-Elemente in Betrieb zu nehmen.
Sie stellte fest, dass das Wachstum von neuem Muskelgewebe andere Anforderungen stellte; tatsächlich war es einfacher als die Regeneration von Nerven, doch es erforderte große Präzision über längere Zeiträume. Wenn sie genau die richtige Menge Strom an genau die richtigen Stellen am Rande des gesunden Muskelgewebes sandte, setzte sie ein biologisches Programm in Kraft, das bereits in den Körper eingebaut war, ein Programm, das neues Muskelgewebe nachwachsen ließ, um altes, beschädigtes Gewebe zu ersetzen. Sie musste nur darauf achten, dass die Stromzufuhr gleichmäßig war, um das körpereigene Programm am Laufen zu halten, und dann konnte sie
sich zurücklehnen und »fühlen«, wie es die restliche Arbeit übernahm. Das war allemal besser, als die Bildung all dieser Unmengen von Muskelzellen durch Micromanagement steuern zu müssen. Sie war so erschöpft, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre weiterzumachen.
Sie zog ihre Hand von Jesses Beinen zurück und war sich nur deshalb dessen bewusst, dass viel Zeit vergangen sein musste, weil sie vor Ermattung schwankte. Es war so still im Raum gewesen, während sie arbeitete, und als sie jetzt zu dem Bildschirm aufblickte, stellte sie fest, dass Ryland ihr gemeinsam mit seiner Frau zusah.
Jesse lag lange Zeit ganz still da, so lange, dass Sabers Herzschlag sich beschleunigte. Sie berührte seine Schulter. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er blickte erst zu ihr auf und dann auf den Monitor. »Ja. Mir geht es gut. Ich fühle mich nur nicht anders. Während du an meinen Beinen gearbeitet hast, waren sie warm, und vereinzelte Stromstöße habe ich tatsächlich gespürt, aber jetzt fühle ich so gut wie gar nichts.« Er setzte sich langsam auf.
Lily lächelte ihn an. »Wenn du innerhalb von vierundzwanzig Stunden keine Verbesserung wahrnimmst, sollte sie es noch einmal versuchen. Das ist wirklich erstaunlich, Saber.«
»Nur, wenn es funktioniert«, sagte Saber.
»Ich bliebe gern, um mich darüber zu unterhalten, weil ich das wirklich aufregend finde, aber ich glaube, ich bekomme das Baby schon sehr bald.«
»Du meinst, in ein paar Wochen«, sagte Jesse.
»Ich meine, in ein paar Stunden. Falls du sonst noch etwas brauchst, ruf Eric an. Ich werde eine Zeit lang nicht erreichbar sein.«
Ryland schob seinen Kopf deutlicher ins Bild und grinste von einem Ohr bis zum anderen. »Wir bekommen ein Baby, Jesse.«
Jesse lachte. »Das sehe ich. Ich wünsche euch beiden viel Glück. Gebt uns Bescheid, dass alles in Ordnung ist, sobald es auf der Welt ist.«
»Wird gemacht«, versprach Ryland.
Lily warf Jesse einen Handkuss zu. »Lasst es euch gutgehen, ihr beiden.«
Der Monitor wurde dunkel, und Saber schaltete ihn aus. Sie drehte sich zu Jesse um. »Ich kann nicht glauben, dass sie die ganze Zeit Wehen hatte, während sie dagesessen hat. Ich wäre ausgeflippt.«
»Ich glaube nicht, dass du besonders leicht ausflippst, Saber«, sagte Jesse. Er nahm ihre Hand und zog, bis sie wieder neben ihm
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