Fesseln der Sehnsucht
seine Augen freilich nicht erreichte. »Ja, bitte.«
Nachdem er die Tür hinter sich zugemacht hatte, starrte Luchs noch lange auf die Stelle, wo er gestanden hatte.
Heath Rayne, der erfolgreiche Zeitungsverleger, war ein anderer Mann als der, den sie geheiratet hatte. Er hatte seine Unbeschwertheit verloren, war ernsthafter geworden. Seine Sorglosigkeit war einer beeindruckenden Ausstrahlung von Macht und Verantwortung gewichen. Selbst das sonnige Gold seines Haars hatte sich in den Wintermonaten zu einem dunklen Aschblond verwandelt und ließ ihn älter erscheinen als siebenundzwanzig. Die Aura des Geheimnisvollen, Rätselhaften hatte sich verstärkt. Er war verschlossener und weniger zugänglich als je zuvor.
Lucy seufzte tief in der Erkenntnis, dass sie lernen musste, die Veränderungen zu akzeptieren. Warum hatte ihr niemand gesagt, dass Männer sich wandelten, nachdem das Werben um eine Frau vorüber war und der Alltag der Ehe begonnen hatte?
Sie hatte geglaubt, Heath genieße es, sich von ihr verwöhnen und umsorgen zu lassen, während er von seiner Krankheit genas. Die Tatsache, dass sie sich darin gründlich getäuscht hatte, bestätigte ihr nur erneut, wie wenig sie ihn kannte. Er hatte ihre Pflege und Fürsorge lediglich über sich ergehen lassen. Sie aber verspürte immer wieder den Drang, ihn zu streicheln und ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, nur um sich zu vergewissern, dass er sich wohl fühlte. Er aber reagierte nicht auf ihre liebevollen Gesten. Bleich und beherrscht hatte Heath seine Bettlägrigkeit geduldig hingenommen. Nun aber rebellierte er dagegen.
Auf Lucys behutsame Fragen hatte Dr. Evans geantwortet, sein Verhalten sei nicht ungewöhnlich und es würden noch einige Wochen vergehen, ehe er wieder ganz hergestellt sei. Lucy aber glaubte zu wissen, die Veränderungen in ihm, seine jähen Stimmungsschwankungen, seine ungewöhnliche Wortkargheit seien nur teilweise auf seinen körperlichen Zustand zurückzuführen. Der tiefere Grund war weitaus Besorgnis erregender. Ihrer Meinung nach war er im Kampf gegen das Fieber zu Erkenntnissen gelangt, die ihn immer wieder beschäftigten, über die er jedoch nicht mit ihr sprechen wollte. Sie hatte den Eindruck, er schirme sich ab, schließe sie aus.
Raine. Der Name, der nie zwischen ihnen gefallen war, hing wie eine stumme Drohung über dem Paar, hemmte den freien Gedankenaustausch zwischen ihnen. Lucy wusste nicht, ob Heath sich an irgendetwas aus den Tagen seines Deliriums erinnerte. Wusste er, dass er häufig von Raine gesprochen hatte? Ahnte er etwas davon?
Der Argwohn, der an Lucy nagte, wurde durch seine Gleichgültigkeit ihr gegenüber noch verstärkt. Sie schliefen nicht mehr im gemeinsamen Ehebett; Lucy war längst in ein anderes Zimmer gezogen. Und obwohl er nun wieder so weit hergestellt war, dass sie ihre früheren Gewohnheiten wieder aufnehmen konnten, gab Heath mit keiner Andeutung zu erkennen, seine Ehefrau wieder bei sich im Bett haben zu wollen. Lucy hatte vage Überlegungen, ohne lange Erklärung wieder ins gemeinsame Schlafzimmer zu ziehen, in den vergangenen Tagen wieder verworfen. Sie hatte zu lange damit gewartet; nun erschien es ihr schwierig und unpassend, in sein Bett zurückzukehren. War es denn wirklich nötig, sich eine Position zu erschleichen, auf die sie rechtmäßig Anspruch hatte? Mit Sicherheit nicht. Warum aber nagte eine unbestimmte Angst an ihr, zurückgewiesen zu werden? Sie wusste keine Antwort darauf. Es war feige abzuwarten, bis er sagte, er wolle sie wieder bei sich haben, doch ihr Selbstvertrauen war angeschlagen und sie scheute sich, größeren Schaden zu riskieren. Damon kam häufig zu Besuch, um mit Heath über den Examiner zu reden. Falls er bemerkte, dass es zwischen Lucy und Heath kriselte, verlor er kein Wort darüber. Ihm ging es um die Zeitung, das war wichtiger als alles andere. Ohne Heath’ Führung, der sich glänzend darauf verstand, seine Mitarbeiter zu motivieren, hatte sich eine gereizte Stimmung in der Belegschaft ausgebreitet und die Arbeiten der Reporter wurden nachlässiger. Damon war ein strenger Zuchtmeister, er stellte hohe Ansprüche, war sarkastisch und ungeduldig im Umgang mit menschlichen Schwächen. Er gestand freimütig, ihm fehle Heath’ Geduld und die Fähigkeit, den Ehrgeiz der Reporter anzustacheln, beste Arbeit zu liefern.
Bei seiner Rückkehr wurde Heath mit großer Erleichterung und Freude empfangen. Als er die Redaktion betrat, begrüßten die Mitarbeiter ihn
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