Fesseln der Sehnsucht
Schulter zu nehmen und ins Lächerliche zu ziehen, verlasse ich dieses Haus und komme erst wieder, wenn sie gegangen ist.«
Heath war sehr ernst geworden. »Ich nehme Rücksicht auf deine Gefühle, Mrs. Rayne … wenn du bereit bist, auch mir entgegenzukommen. Wollen wir unser Gespräch in der Bibliothek fortsetzen?«
Die einsetzende Abendröte tauchte die Bibliothek in einen rosigen Schein, der sich mit dem warmen Licht der Lampen verband. Heath goss sich einen Schluck Whiskey ein, dann, mit einem Blick zu Lucy, auch einen für sie, den er mit Wasser verdünnte. Lucy nippte am Glas und als sich die wohltuende Wärme des Alkohols in ihrem Magen ausbreitete, nippte sie noch einmal, bis ihre Zähne nicht mehr an den Rand des Glases schlugen. Sie schloss die Augen und fasste sich, dann sah sie Heath in die Augen.
»Wie konntest du sie hierher bringen?«
»Ich hätte rechtzeitig telegrafiert, wenn ich es früher gewusst hätte. Am Morgen vor unserer Abreise …«
»Amy hat mir von den Problemen mit ihren Verwandten erzählt«, unterbrach Lucy. »Zu dumm. Ich scheine einiges mit Raines Verwandten gemeinsam zu haben – ich will sie auch nicht in meinem Haus haben.«
Heath kippte den Rest seines Whiskeys hinunter, ehe seine Augen sich in die ihren bohrten. »Sie bleibt nicht lange.
Victoria wollte mit Amy und Raine nach England reisen. Ihre Familie wäre bereit, beide aufzunehmen. Doch sie lehnten ab. Amy wusste, dass ich sie hole. Und Raine … nun, vermutlich scheute sie davor zurück, in ein fremdes Land zu gehen, und hat sich wohl weiter keine Gedanken gemacht.« Lucy hatte große Lust, ihn zu erwürgen. Sie hat sich sehr wohl Gedanken darüber gemacht. Raine wusste genau, was sie tut. Sie wollte dich wieder sehen. Und sie will dich zurückhaben, du Dummkopf!
»Mittlerweile«, fuhr Heath fort »zieht Raine ernsthaft in Erwägung, nach England zu gehen. Sie wird ein paar Tage bei uns bleiben bis wir Amy in einem Internat untergebracht haben, dann reist sie zu Victoria.«
»Wieso blieb Raine nicht im Süden, bis ihre Entscheidung feststand?«
»Sie wusste nicht, wo sie bleiben sollte. Und ich hielt es um Amys willen für vernünftiger, dass sie uns begleitet.
Wir sind für Amy Fremde und Raine ist die einzige …«
»Bitte erspare mir diese Ausflüchte«, unterbrach Lucy ihn. Sie fuhr herum und trat ans Fenster. »Du hast Raine nicht um Amys willen mitgenommen. Du hättest deine Schwägerin ja für ein paar Tage in einem Hotel unterbringen können.«
»Ach, wie mitfühlend, eine junge Witwe allein in einem Hotel zurückzulassen.«
»Wir beide wissen, dass du sie nicht mitgebracht hast, weil du so solches Mitgefühl für die trauernde Witwe empfindest.«
»Dann erkläre mir, warum ich sie mitgebracht habe«, entgegnete er spöttisch.
Lucy presste die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe und schluckte gegen den Kloß an, der ihr die Kehle zuschnürte. »Als du so hohes Fieber hattest …«, begann sie und eine tödliche Stille breitete sich aus, »hast du im Fieberwahn geredet. Du hast von früher gesprochen, vom Krieg und von deinen Eltern, deinen Freunden … meist aber hast du … von ihr geredet. Raine.« Sie lachte halb erstickt. »Ich kann ihren Namen nicht mehr hören, so oft hast du ihn gestammelt. Du hast sie angefleht, Clay nicht zu heiraten. Du hast gesagt, wie schön sie sei … und wie sehr du sie liebst.« Langsam drehte sie sich zu ihm um. Heath Gesicht war ausdruckslos, wie aus Stein gemeißelt.
»Wieso hast du vorher nie von ihr gesprochen?«, fragte Lucy mit dünner Stimme.
»Ich hielt es nicht für nötig.«
»Was ist geschehen? Wieso hat sie Clay geheiratet?«
»Weil er ein Price war. Ein rechtmäßiger Price. Die Prices waren vor dem Krieg eine reiche und angesehene Familie. Ich war lediglich der Fehltritt meines Vaters. Raine und ich hatten Zuneigung zueinander gefasst, doch ich beging den Fehler, sie meinem Halbbruder vorzustellen … Bald danach haben die beiden sich verlobt.«
Gütiger Himmel. Wenn er Raine diesen Schritt vergeben konnte, mussten seine Empfindungen für sie sehr tief sein.
Lucy wand sich innerlich vor Pein. Wie konnte er Raine immer noch begehren, nach allem, was sie ihm angetan hatte?
»Du scheinst ihr nicht nachzutragen, dass sie Clay dir vorgezogen hat«, sagte sie scharf.
»Damals habe ich es ihr sehr verübelt.« Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Ich verfluchte sie, ich hasste sie und überlegte mir tausend Möglichkeiten,
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