Fesseln der Sehnsucht
Daniel schneidend. »Wir erhöhen die Entfernung auf zweihundertfünfundzwanzig Meter. Der Erste, der verfehlt, hat verloren.«
Nun entstand ein ziemlicher Tumult. Die zerbeulten Blechdosen wurden wieder aufgestellt, die Spencer neu geladen. Daniel hob die Waffe. Schuss um Schuss krachte durch die friedliche Sommerlandschaft. Daniel fegte alle Dosen weg. Seine braunen Augen funkelten in kalter Genugtuung.
Dann war Heath wieder an der Reihe, der die Büchsen mit erschreckender Geschwindigkeit abschoss. Er war ein Meisterschütze. Das wussten nun alle, am besten wusste er es selbst. Er trug ein selbstsicheres Lächeln zur Schau, als das Wettschießen fortgesetzt wurde, und seine lässige Art machte deutlich, wie lächerlich leicht ihm der Wettkampf fiel.
Daniel hingegen wirkte höchst irritiert. Seine Anspannung wuchs mit jeder neuen Runde. Lucy sah in stummer Qual, wie sein Gesicht sich rötete und er zu schwitzen begann. Sie hatte ihn noch nie in einem solch aufgebrachten Zustand gesehen und verfluchte Heath im Stillen, der mit ihrem Verlobten Katz und Maus zu spielen schien. Und vor einer halben Stunde hatte sie noch Mitleid mit dem Kerl gehabt! Dabei verhöhnte er Daniel und seine Freunde mit seiner Treffsicherheit, obwohl ihm klar sein musste, dass er sich mit seiner Überlegenheit nur Hass zuzog und keine Bewunderung. Er aber schien seinen teuflischen Spaß an dem bösen Spiel zu haben.
Lucy blickte von Heath’ breitem Rücken zu Daniel, der alle Mühe hatte, seinen Titel zu verteidigen. Ihr Blick verdunkelte sich sorgenvoll. Daniel war noch nie in einem Wettschießen besiegt worden, seine Eitelkeit wäre zutiefst verletzt, wenn er jetzt geschlagen würde.
Und jeder ahnte, dass er verlieren würde.
Wieder spürte Lucy Heath’ Blick auf sich. Sie sah zu ihm hinüber, Angst und Zorn spiegelten sich in ihren Augen.
Ihre Lippen bebten, so sehr drängte es sie, die Worte hinauszuschreien, die sie für sich behalten musste.
Unvermutet erlosch das teuflische Glitzern in seinen Augen und er fuhr sich mit der Hand durch die blonde Lockenfülle. Diesmal waren seine Bewegungen bedächtiger, als er die Flinte anlegte, er zielte sorgfältiger. Eins, zwei, drei … vier, fünf … sechs. Er schien zu zögern, ehe er den letzten Schuss abfeuerte.
Die siebte Büchse blieb stehen.
Sally sprang mit einem Freudenschrei von dem Felsbrocken und lief auf Daniel zu. Die Zuschauer brachen in laute Begeisterungsrufe aus, umringten Daniel, schlugen ihm stolz auf den Rücken und beglückwünschten ihn überschwänglich. Lucy blieb sitzen und starrte zu Heath hinüber, der sich spielerisch vor ihrem Verlobten verbeugte. Daniel nickte kühl und wandte sich seinen Freunden zu, die ihn stürmisch umarmten.
Heath schlenderte zu Lucy herüber, sein braun gebranntes, glatt rasiertes Gesicht undurchdringlich wie aus Stein gemeißelt. Die Narbe an seiner Schläfe trat deutlicher als gewöhnlich hervor. Sie verspürte den Wunsch, die dünne Linie mit dem Finger nachzuziehen und ihm tröstend die Wange zu streicheln – als ihr plötzlich klar wurde, was er getan hatte. Obwohl keiner es ahnte, hatte er Daniel den Sieg freiwillig überlassen! Mit dem letzten Schuss, der sein Ziel verfehlte, hatte er allen seine Verachtung gezeigt, denen dieses Spiel im Gegensatz zu ihm so viel bedeutete und ihm so wenig.
»Sie haben absichtlich danebengeschossen«, empfing Lucy ihn vorwurfsvoll. Heath bemühte sich nicht, das Verlangen in seinen Augen zu verbergen.
»Ich habe es für Sie getan«, antwortete er mit rauchiger Stimme. »Obwohl es mir verdammt schwer fällt, das zuzugeben.« In seiner Stimme schwang ein Hauch Selbstironie. »Ich scheine eine Schwäche für Sie zu haben.«
»Glauben Sie bloß nicht, ich sei Ihnen etwas schuldig!« Erzürnt wandte sie das Gesicht und machte sich daran, vom Felsen zu klettern. Er nahm sie an den Handgelenken und stützte sie. Lucy erschrak über die Empfindungen, die seine Berührung in ihr auslöste. Obwohl so viele Menschen in ihrer Nähe waren und Daniel nur wenige Schritte entfernt stand, verspürte sie den unbändigen Wunsch, Heath Rayne in die Arme zu sinken. Einen erschreckenden Moment lang sehnte sie sich danach, sich an ihn zu schmiegen, ihre Wange an seine kupferfarbene Haut zu pressen, seinen Duft einzuatmen. Lucy bezwang ihren Wunsch, musste sich allerdings eingestehen, dass dieser Mann eine Macht auf sie ausübte wie niemand sonst, nicht einmal Daniel. Diese Erkenntnis jagte ihr namenloses
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