Fesseln der Sehnsucht
und seine blauen Augen senkten sich in ihre braunen. Dieser herausfordernde Blickwechsel war wie eine Kriegserklärung. Nach einer Weile schlug Lucy die Augen nieder.
»Fahren wir nach Hause?«, fragte sie leise.
»Ich dachte, wir speisen im Wayside Inn zu Abend.«
»Ich habe keinen Appetit.« Heath seufzte, seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, worauf ihm eine widerspenstige Locke in die Stirn fiel. »Cinda … da dies vermutlich der einzige Hochzeitstag ist den wir erleben, lass uns das Beste daraus machen. Wir speisen gemütlich im Wayside, trinken ein Glas Wein und wenn wir nach Hause kommen, sind deine Kisten und Truhen ausgepackt …«
»Von wem?«
»Mrs. Flannery und ihre Tochter Molly kommen zweimal die Woche, um für mich zu kochen und zu waschen.
Morgen werde ich sie dir vorstellen.«
Lucy nickte und ließ sich in den Wagen helfen. Nun, da die Trauung vorüber war, fühlte sie sich müde, erschöpft und noch angespannter als am Morgen. Sie bemühte sich, ein Gespräch mit ihm zu führen, doch nach einer Weile verfielen beide in Schweigen. Der Abend verging in einer Art verschwommenem Nebel, das Schweigen dauerte auch während der Mahlzeit an, nur unterbrochen von der Bestellung des Menüs oder der Bitte, das Salz herüberzureichen. Nach dem zweiten Glas Wein entspannte Lucy sich so weit, um ein paar Fragen an ihn zu richten, die ihr auf der Zunge brannten.
»Wirst du wieder ein Buch schreiben?«, erkundigte sie sich.
»Das hatte ich eigentlich nicht vor. Warum fragst du?«
»Nun … wir brauchen Geld, um leben zu können. Ich meine, die Einkünfte aus deinem ersten Buch werden nicht ewig reichen. Und ich dachte, um Geld zu verdienen, musst du …«
»Aha.« Seine blauen Augen blitzten belustigt. »Weißt du, Cinda, ein Mann sollte sein Brot als Schriftsteller nur dann verdienen, wenn ihm nichts an dem Luxus liegt, drei Mahlzeiten am Tag zu sich zu nehmen.«
»Dein Buch war ein Erfolg …«
»ja, aber von den Tantiemen würden wir keine Woche leben können.«
Lucy bekam große Augen. Ihr Vater hatte gesagt, Heath könne sie versorgen! Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daran zu zweifeln, in Anbetracht seiner teuren Kleidung und seines sorglosen Umgangs mit Geld.
»Aber ich war der Meinung dann?«
»Nach Kriegsende verkaufte ich etwas von dem Land, das mein Vater mir hinterließ, und tätigte einige Investitionen. Sie versprechen guten Gewinn abzuwerfen, mehr als genug, um uns ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Hast du schon etwas von gekühlten Eisenbahnwaggons gehört?«
»Nein«, antwortete Lucy und fühlte sich ein wenig entspannt und erleichtert. Land. Investitionen. Diese Worte bedeuteten Geld.
»Damit können große Handelsunternehmen ihre Geschäfte um ein Vielfaches ausweiten, wenn sie Obst und Gemüse in gekühlten Güterwagen durchs Land zu den Großhändlern liefern und die Einzelhändler dabei übergehen …«
»Würden darunter nicht viele Händler leiden oder sogar aufgeben müssen?«
»Ja, daran ist nichts zu ändern … wenn sie dem Fortschritt im Wege stehen.«
»Wie gefühllos das klingt! Hast du kein schlechtes Gewissen? Fühlst du dich nicht verantwortlich für die Menschen, denen du Brot und Arbeit nimmst?«
»Ich hätte wissen müssen, dass du mir eine Moralpredigt hältst«, antwortete Heath schmunzelnd. Doch da Lucy ihn weiterhin entsetzt anstarrte, wurde er wieder ernst. Der Mann war völlig rücksichtslos, dachte Lucy und eine Sekunde machte er ihr Angst. Wozu war er sonst noch fähig? »Nein, ich fühle mich nicht schuldig«, antwortete er ungerührt. »Ich nehme den Leuten ungern Arbeit weg, ich habe jedoch das große Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben.«
»Aber diese Menschen …«
»Auch eine Folge des Krieges … er bringt überkommene Ordnungen durcheinander. Einige Menschen werden nach oben geschwemmt, während andere auf den Grund sinken. Und was ich auch tun muss, um nicht unterzugehen, ich tue es lieber, als zu ertrinken.«
»Es gibt Menschen, die es vorziehen würden unterzugehen, als ihre Integrität zu verlieren.« In Lucys Stimme schwang beißende Kritik.
Heath’ blaue Augen wurden kalt, jagten Lucy einen Schauer über den Rücken. »Du wärst erstaunt, Mrs. Rayne, die Wahrheit über die Integrität der Menschen zu erfahren. Wenn du beispielsweise wüsstest was dein geliebter Daniel im Krieg getan hat, um zu überleben, würde sich dir vermutlich der Magen
Weitere Kostenlose Bücher