Fesseln der Sehnsucht
umdrehen.«
»Ich habe Daniel mit keinem Wort erwähnt!«, versetzte Lucy hitzig, doch beide wussten, dass sie an ihn gedacht hatte.
»Ich nehme eine Menge Kritik von dir in Kauf«, fuhr Heath fort und sah sie kühl an. »Aber ich dulde nicht, dass du mich verurteilst oder Vergleiche ziehst ohne zu wissen, wovon du redest.«
Nach dieser schroffen Zurechtweisung redeten sie nicht mehr miteinander. Und dieses kalte, lastende Schweigen war schlimmer als das verlegene Schweigen zuvor.
Nach dem Abendessen kehrte das Brautpaar spät abends nach Concord zurück. Lucy hatte sich vor ihm ins Schlafzimmer begeben, zog das Hochzeitskleid aus und hängte es sorgfältig weg. Ihre Bewegungen waren langsam und bedächtig wie in einem Traum. Umständlich löste sie die Verschnürung ihres Korsetts und ein tiefer Seufzer der Erleichterung entfuhr ihr, als sie die beengende Einschnürung los war. Lucy musste sich am Bettpfosten festhalten und die Augen schließen, bis das Schwindelgefühl nachließ, das sie jedes Mal beim Ablegen des Folterinstruments befiel.
»Cinda?« Bei Heath’ Stimme fuhr sie erschrocken herum. »Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte er besorgt und trat neben sie. Lucy löste sich vom Bettpfosten und wich zwei Schritte zurück; ihre nackten Zehen krallten sich in den weichen Teppich.
»Doch, doch, es geht mir gut«, wehrte sie ab und schlang die Arme um sich. Peinlich war sie sich bewusst, dass er völlig angezogen war, während sie nur ihre langen spitzenbesetzten Unterhosen trug und das dünne, vom Korsett zerknitterte Batisthemd. »Ich dachte nicht, dass du so früh heraufkommst. Ich bin … noch nicht fertig.«
»Ich wusste nicht, wie lange du brauchst.«
»Mir wäre es lieber«, meinte sie stockend, »wenn du noch mal gehst und in zehn Minuten wiederkommst. Dann habe ich mein Nachthemd gefunden und …«
»Ich würde lieber bleiben«, meinte er seelenruhig und streifte bereits den Gehrock ab. Wie hypnotisiert sah sie zu, wie er die Schuhe auszog. »Ich denke, es ist leichter, wenn wir kein so großes Theater machen«, meinte er.
»Ich fühle mich … aber nicht wohl … in dieser Situation.«
»Kein Grund zur Nervosität. Vergiss nicht, ich habe dich bereits nackt gesehen.«
Lucy wandte ihm den Rücken zu, um nicht hinsehen zu müssen, wie er sich weiter auszog. Ihre Hände hoben sich zu den Trägern ihres Unterhemds. Dann zögerte sie … Nein, sie brachte es nicht über sich. Erwartete er, dass sie sich vollständig vor ihm entkleidete? Noch schlimmer, zog er sich vor ihr ungeniert nackt aus? Wohin sollte sie schauen, was sollte sie sagen? Es war alles hundertmal schlimmer, als sie sich vorgestellt hatte. Ach, warum nur hatte ihr niemand gesagt, was zu tun war? Es gab gewiss Regeln, wie man es richtig machte, aber niemand hatte sie vor der grässlichen Peinlichkeit der Situation gewarnt. Stumm, stocksteif und innerlich bebend stand sie da und suchte verzweifelt nach einer rettenden Idee. Ihr Haar war immer noch hoch gesteckt, also hob sie die Arme und nestelte die Nadeln aus ihrer Frisur, um wenigstens ihre Hände zu beschäftigen. Während sie mit ungelenken Fingern die Haarnadeln aus dem Knoten zog, fielen ein paar davon klappernd zu Boden. Gleichzeitig hörte sie, wie Heath sich auf bloßen Füßen näherte.
»Ich helfe dir.«
Seine Finger glitten durch ihre kastanienbraunen Locken und zogen die Nadeln geschickt heraus. Zögernd drehte Lucy sich zu ihm um. Er trug gottlob seine Hose, wirkte mit nacktem Oberkörper aber noch breiter und einschüchternder. Nie im Leben hatte sie so viel nackte Haut gesehen, glänzend braune Haut, an vielen Stellen von Narben überzogen. Von den schmalen Hüften nach oben weitete sich sein Brustkasten in breite Schultern. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, als er auf sie herabblickte.
Ohne ihre hochhackigen Hausschuhe reichte Lucy ihm nur bis zur Schulter. Sie fühlte sich wie ein Zwerg neben ihm und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen.
Daniel hatte genau die richtige Größe für sie gehabt. Große Männer und kleine Frauen passten nicht zusammen!
Wenn Heath sie jetzt in die Arme nähme, würde ihre Nase an seine breite Brust stoßen. Seine großen Hände legten sich auf ihre Schultern, seine Daumen strichen ihr Schlüsselbein entlang. Lucys Augen fixierten seinen Hals. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, seine Nähe drohte sie zu ersticken. Sie wollte seine Hände von ihren Schultern stoßen,
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