Fesseln der Sehnsucht
hatten neue Welten zu erobern und beide stürzten sich mit Enthusiasmus in die Arbeit. Die Tage vergingen wie im Flug, die Nächte waren voller Leidenschaft. In mancher Hinsicht schien das Leben perfekt zu sein.
Doch es gab immer noch Mauern zwischen ihnen, die umso unüberwindlicher schienen, da sie verschwiegen wurden.
Dennoch waren sie unsichtbar gegenwärtig, und Lucy rannte immer dann dagegen, wenn sie am wenigsten darauf gefasst war. Sobald sie versuchte, etwas über Heath’ Leben vor dem Krieg zu erfahren, wusste er Dutzende Ausflüchte, um Antworten zu vermeiden. Er neckte sie, überschüttete sie mit Zärtlichkeit, manchmal brach er sogar einen Streit vom Zaun, nur um das Thema zu wechseln. Ähnlich verhielt er sich, wenn sie ihm allzu persönliche Fragen stellte. Er gab ausweichende Antworten oder blieb sie ihr völlig schuldig. Es kränkte sie, dass er ihr den Zugang zu seinem Herzen, zu seinen Geheimnissen, zu seinem Schmerz verwehrte. Er verwöhnte sie, trug sie auf Händen, erfüllte ihr jeden Wunsch, aber er verweigerte ihr seine Liebe.
Den Grund für seine Abschottung erriet sie nicht und es gab niemand, der ihr hätte helfen können, ihn zu verstehen.
Aus reinem Selbstschutz baute Lucy sich eigene Mauern auf. Da Heath nicht bereit war, ihr sein Herz zu öffnen, nahm sie sich vor, auch ihn auszuschließen. Sie war zärtlich und liebevoll, lachte und plauderte gern mit ihm und gab sich im Liebesakt rückhaltlos hin. Aber sie vertraute ihm nicht ihre geheimen Gedanken und Sehnsüchte an, ließ ihn nicht zu nahe an sich heran.
In ihrer Beziehung hatte die Liebe keinen Platz, der Zugang hinter die Mauern blieb ihr verwehrt. Liebe war eine Empfindung, die Angst hervorrief, und deshalb war sie nicht erwünscht. Ihre gemeinsam verbrachten Stunden waren gelegentlich leer. Manchmal reichte Lachen nicht aus. Manchmal reichten Spaß und Zuneigung nicht aus.
Heath ließ Lucy völlig freie Hand bei der Instandsetzung und Einrichtung des Hauses, ebenso bei der Wahl des Hauspersonals. Er hatte Konten für sie bei Jordan, Marsh und Co., C. F. Hovey und anderen großen Warenhäusern eingerichtet, wo sie bald eine hoch angesehene Kundin war. Nachdem sie große Einkäufe in allen Geschäften getätigt hatte, wurde Lucy bereits beim Betreten vom Portier und den Verkäufern freudig begrüßt. »Mrs. Rayne, einen wunderschönen guten Morgen.« – »Guten Tag, Mrs. Rayne!« – »Mrs. Rayne, welche Freude, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen!« Ja, es gab ihr ein erhabenes Gefühl, sich in so kurzer Zeit ein solches Ansehen verschafft zu haben, zumal die Geschäftsleute in Boston für ihre Reserviertheit bekannt waren. Lucy erheiterte Heath mit ihren Erzählungen, wie sie von Geschäftsinhabern und Verkäufern gleichermaßen hofiert wurde.
Ohne ihm das zu gestehen, quälte sie sich bei vielen Entscheidungen, die sie zu treffen hatte. Sie war zur Sparsamkeit erzogen, nicht daran gewöhnt, hohe Beträge auszugeben, und nie zuvor war sie mit einer solchen Fülle von Verantwortung betraut gewesen. Ein Sofa auszuwählen oder ein Speiseservice anzuschaffen war eine Sache, aber ein ganzes Haus geschmackvoll einzurichten, war etwas anderes. Noch dazu ein so riesiges Haus, das nicht nur ihr gefallen, sondern auch den Geschmack ihres Gemahls treffen sollte. Sie bestellte für Tausende Dollar Möbel und Teppiche und sorgte sich, ob sie die richtigen Farben, den richtigen Stil getroffen hatte. Das Haus sollte gediegen eingerichtet sein, um den Geschmack der konservativen Bostoner zu treffen, die sie bald als Gäste empfangen würden. Heath aber hatte ihr auch deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht den Wunsch hatte, wie in Neuengland üblich, in einem düsteren Heim zu leben, das ihn an ein Bestattungsinstitut erinnerte. Er hatte einen ausgesprochen modernen Geschmack. Also musste sie einen Kompromiss zwischen beiden Stilen finden. Lucy bewegte sich auf unsicherem Boden, doch da es niemanden gab, der ihre Bemühungen kritisierte, begann sie sich auf ihren Geschmack und ihre Einfühlungsgabe zu verlassen.
Sie entschied sich für gedeckte Farben und ruhige Muster. Für die hohen Fenster wählte sie schlichte Samtbehänge, die sie im Sommer gegen duftige, helle Musselinvorhänge austauschen wollte. Altgoldene, von geflochtenen Quastenschnüren gehaltene Damastportieren schmückten die Durchgänge zwischen den Räumen. Im Winter sollten die Portiere geschlossen werden, um kalten Luftzug zu vermeiden.
Das
Weitere Kostenlose Bücher