Fesseln der Sehnsucht
erkannte. Heath beanspruchte den einzigen abgeschlossenen Raum auf der Etage für sich, während Damon mit dem restlichen Redaktionsstab in dein riesigen Saal saß. Dort waren die Wände mit Stadtplänen und Landkarten tapeziert, dazwischen reichten Bücherregale bis unter die Decke. Die Journalisten saßen an kleinen grünen Schreibtischen. Die Nähe zu den Mitarbeitern sollte Damon zugänglicher für den Redaktionsstab machen, gab ihm aber auch Gelegenheit, ein waches Auge auf alle zu haben. Da er sich gern jede Stunde die Beine vertrat, schlenderte Damon durch die Buchhaltung, die Schreibabteilung und die Setzerei. Seine flinken schwarzen Augen registrierten jedes kleinste Detail. »Gibt’s was Neues?«, fragte Heath, ohne von dem Artikel auf seinem Schreibtisch hochzusehen.
»Wieder Komplikationen wegen der Ratifizierung des vierzehnten Verfassungszusatzes. Ein Telegramm über ein Erdbeben in San Francisco … ziemlich stark, wie es scheint. Und der Wasserbehälter leckt mal wieder.«
»Ich muss schon sagen, Damon, irgendwie mache ich mir Sorgen um deinen Sinn für Prioritäten, wenn du den lecken Wasserbehälter in einem Atemzug mit einem Erdbeben nennst.«
Damon zeigte eines seiner seltenen Lächeln. »Ich weiß, welche unmittelbaren Folgen das für mich hat.«
»Ich begreife nicht, woher du dein ausgeprägtes Mitgefühl nimmst.«
»Ich wäre vermutlich mitfühlender, wenn ich nicht jede Nacht bis um drei hier sitzen müsste, um die Zeitung in Druck zu bringen.«
»Wenn du erst mal eine Ehefrau hast, zu der du nach Hause musst fange ich an, Mitleid mit zu haben.«
»Du bist der Erste, der erfährt, wenn ich eine passende Frau gefunden habe.«
»Irgendwo wartet die Richtige«, erwiderte Heath trocken. »Aber du würdest sie wesentlich schneller finden, wenn dir das Studium ihres Stammbaums nicht wichtiger wäre als die Beschäftigung mit ihren anderen Attributen.«
»Ich bin dazu erzogen worden, gesunden Wert auf Abstammung zu legen. Schlechtes Blut setzt sich immer durch, musst du wissen.«
»Ich will dich nicht kränken … aber es ist doch unwichtig, wer der Urgroßvater der Dame war. Mit ihm willst du doch nicht jede Nacht ins Bett steigen.«
»Vermutlich nicht«, antwortete Damon ohne große Überzeugung.
Heath wechselte das Thema. »Was willst du mit mir besprechen?«
»Transportmittel. Wir haben nur eine Droschke im Hof stehen, die unsere Reporter für besondere Aufträge nutzen können. Meist aber ist Ransom damit unterwegs, um die Polizeiberichte einzusammeln, und das bedeutet, dass sie nie da ist, wenn ein anderer sie braucht. Wir sagen unseren Reportern ständig, sie sollen rausgehen und Nachrichten aufstöbern und am Tatort sein, wenn etwas passiert, statt zu warten und etwas aus zweiter Hand zu erfahren. Aber wenn ein Reporter nicht sehr gut zu Fuß ist, kommt er immer zu spät …«
»Verstehe. Wir schaffen eine zweite Droschke an.«
»Noch etwas«, meinte Damon gelangweilt. »Ich wurde von verschiedenen Seiten darauf angesprochen – die nicht genannt werden wollen –, um mit dir über etwas zu reden, was alle Zeitungen haben. Alle, nur der Examiner nicht.«
»Was zum Teufel könnte das sein?«
»Ein Portier.«
»Ein Portier?«, wiederholte Heath fassungslos.
»Um Besucher anzumelden.«
»Gott bewahre!«
»Es ist eine Frage des Prestiges …«
»Sag den Leuten, die nicht genannt werden wollen«, entgegnete Heath mit verächtlicher Stimme, »wir schaffen uns einen Portier an, wenn wir eine Zeitung machen, die nicht nur dafür taugt, sich den Hintern damit abzuwischen.«
Lucy hatte ihre eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen. Sie stand in der Halle, als Möbelstücke geliefert und Tapeten entrollt wurden, und drehte sich im Kreis, als sie mit Fragen überhäuft wurde. »Mrs. Rayne, wohin kommt dieser Tisch?«
»Mrs. Rayne, soll die Tapete ins zweite Zimmer im ersten Stock oder ins erste Zimmer im Parterre?«
»Mrs. Rayne, verzeihen Sie, wollten Sie das Sofa an der Wand stehen haben oder in der Mitte des Salons?«
»Mrs. Rayne … soll ich die Stuckverzierungen im Esszimmer blau oder beige streichen?«
»Halt!«, rief Lucy spitz und hob abwehrend die Hände. Dann holte sie tief Luft und blickte von einem zum anderen, während sie loslegte:.»Der Tisch kommt zwischen die beiden Samtsessel im Salon. Die Tapete ins zweite Zimmer, erster Stock. Das Sofa an die Wand. Der Stuck wird beige gestrichen.«
Als die kleine Versammlung sich auflöste, schleppten zwei
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