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Fesseln der Sünde

Fesseln der Sünde

Titel: Fesseln der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Campbell
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reckte den Kopf aus einem der Fenster hinaus und schaute hinauf zu der grauhaarigen Person auf dem Kutschbock. »Warum halten wir an, Tulliver?«
    »Schauen Sie, Miss.« Er deutete mit seiner Peische in die Ferne. »Penrhyn.«
    Mit einem Blick auf Sir Gideons reglose Gestalt zwang sie ihre müden Muskeln zu einer uneleganten Bewegung. Sie kletterte aus der Kutsche und wandte sich der von Tulliver angedeuteten Richtung zu.
    Es war Liebe auf den ersten Blick.
    Sie hielten auf einer leichten Anhöhe. Hinter ihnen lag der Wald, durch den sie gerade gefahren waren. Das Land vor ihnen fiel in sanften Wellen hinab zu den Klippen. Dahinter tauchte das prächtige, tiefblaue Meer in dem blasser werdenden Licht des Tages auf.
    Das nach Westen hin stehende Haus thronte am Rand der Klippen. Es war eins mit Himmel, Meer und schroffer Landschaft und Jahrhunderte alt. Verwittert. Einladend, selbst aus dieser Entfernung. Die langen Sonnenstrahlen ließen seinen weichen, goldfarbenen Stein schimmernd glänzen. Penrhyn rief über das blasse Wintergras, das in der frischen Meeresbrise hin- und herflatterte, nach Charis.
    »Ist es nicht atemberaubend?«
    Sie konnte nur schwer ihren Blick von dem Haus abwenden und zu Gideon schauen, der aus der Kutsche hinter ihr gestiegen war. Er war an diesem prächtigen Ort groß geworden. Kein Wunder, dass er so bemerkenswert war. Sie schluckte den Kloß hinunter, der sich vor Ergriffenheit über die perfekte Schönheit des Hauses in ihrer Kehle gebildet hatte. »Es ist großartig.«
    Er stellte sich neben Charis, so nahe, dass sie sich seiner beeindruckenden Größe bewusst wurde. Sie war keine sonderlich kleine Frau, doch neben ihm fühlte sie sich zierlich und zerbrechlich. Ihr Herz schlug wie immer wilde Kapriolen, wenn er in ihrer Nähe war. Was gäbe sie darum, ihre törichten Reaktionen im Zaum halten zu können.
    »Ja, das ist es.« Seine Stimme war ruhig. Aufgesetzt ruhig, hatte sie das Gefühl. Obwohl sein beeindruckendes Gesicht Gelassenheit ausdrückte, übersah sie nicht die Anspannung, die darin lag. »Ich war neugierig, ob es sich verändert hat. Hat es aber nicht.«
    Charis runzelte die Stirn, verwirrt von den unter seiner ruhigen Oberfläche tobenden Stürmen. Für jemanden, der sein Zuhause vor so vielen Jahren verlassen hatte, wirkte er nicht sonderlich erfreut, wieder zurück zu sein. »Wie haben Sie es nur ertragen können, so lange nicht hier gewesen zu sein?«
    Plötzlich überkam ihn ein Gefühl, das sein Gesicht verfinsterte und seine Augen glühen ließ, als sich ihre Blicke trafen. Er schaute sie eine Sekunde fragend an, dann gehörte seine Aufmerksamkeit wieder ganz dem Haus. »Wie soll ich nur ertragen, wieder hier zu sein?«, murmelte er offensichtlich unwillkürlich vor sich hin.
    »Das klingt, als würden Sie diesen Ort hassen«, erwiderte sie entgeistert.
    Er schüttelte den Kopf, und eine Locke seines schwarzen Haares fiel ihm in die Stirn.
    »Nein, ich liebe ihn. Das macht es ja alles so schlimm.«
    Die bittere Ehrlichkeit in seiner Antwort versetzte sie in Erstaunen. Sir Gideon kam ihr nicht wie ein sonderlich vertrauensseliger Mann vor. Das war genauso offensichtlich wie sein innerer Aufruhr.
    Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich auf dem Absatz um und kletterte zurück in die Kutsche. Schockiert und verwirrt schaute Charis ihm nach. Es war, als hätte er nicht länger sein Erbe betrachten können. Doch einen Moment lang war die Härte in seinem Blick gewichen, und sie hatte kurz eine Sehnsucht sehen können, die ihr Herz zum Stottern brachte.
    Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu verstehen. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er sie seines Vertrauens würdig erachtete. Mehr als das aber wünschte sie sich, sie könne etwas tun, um seine unausgesprochene Qual zu lindern.
    Doch sie war eine Fremde. Eine Besucherin auf Stippvisite in seinem Leben. Sie war über den jetzigen Moment hinaus ohne Bedeutung für ihn.
    Sie schaute zu Tulliver hoch, der dem ganzen Gespräch mit der für ihn typischen Seelenruhe gefolgt war. In seinen Augen war ein Leuchten zu sehen, das auf Verständnis, ganz gewiss aber auf Mitleid schließen ließ.
    Für wen? Sir Gideon? Oder für sie, die mitleiderregend vernarrte Miss Watson?
    Seine Stimme klang freundlich. »Sie können ebenfalls wieder einsteigen, Miss. Wir müssen noch ungefähr eine Meile fahren.«
    Charis’ Schultern hingen vor Müdigkeit schlaff herunter, und sie humpelte zu Gideon in das Gefährt.

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